Süddeutsche Zeitung

Welthandelsorganisation:Abschottung - der gefährliche Trend

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Alarmierende Zahlen der WTO: Der globale Handel wird drastisch sinken - auch, weil Protektionismus in vielen Ländern inzwischen Normalität ist.

A. Hagelüken

Obwohl weniger internationaler Handel die Wirtschaftskrise verschärft und Arbeitsplätze kostet, schotten immer mehr Staaten ihre Unternehmen ab. Die Welthandelsorganisation WTO beobachtet eine Zunahme protektionistischer Maßnahmen, die ausländische Firmen treffen können. Gleichzeitig erwartet sie, dass der globale Warenaustausch um zehn Prozent schrumpft, so stark wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Bisher hatte die Organisation mit neun Prozent Minus gerechnet.

Die WTO registrierte in den drei Monaten seit Anfang April 83 Maßnahmen von Regierungen, die den Handel einschränken. Das können zum Beispiel höhere Zölle für ausländische Produkte sein, Importverbote oder andere Hindernisse. Am stärksten bremsen Regierungen oder ihre Behörden den Import von Lebensmitteln (vor allem Milchprodukten), von Autos und Autoteilen, Eisen, Stahl, Chemie und Textilien.

Zahlreiche Einschränkungen

Pikanterweise hat die WTO in ihrer neuen Studie genau den Zeitraum seit dem Weltfinanzgipfel in London Anfang April untersucht. Bei diesem Treffen gelobten die Regierungschefs der 20 größten Industrienationen, "keine neuen Handelsschranken zu errichten". Dazu stellt die WTO unter ihrem Generalsekretär Pascal Lamy fest, es sei gelungen, die schlimmsten protektionistischen Maßnahmen zu verhindern.

Gleichwohl gibt es eine Flut von Handelseinschränkungen, die für die Fachleute in Genf in ihrer Wirkung teilweise schwer zu analysieren sind. Manche Staaten schieben den Schutz ihrer Verbraucher vor, um den Import von Waren zu blockieren. Andere werfen ausländischen Firmen vor, ihre Produkte unter den tatsächlichen Kosten anzubieten, was offenbar immer häufiger ein Vorwand für die Blockade dieser Waren ist.

Kritisch analysiert die Welthandelsorganisation die riesigen Konjunkturprogramme, mit denen viele Regierungen versuchen, die Folgen der Rezession zu dämpfen. Der Handel und die Weltwirtschaft könnten von den Milliardenprogrammen profitieren, schreiben die Experten. Falsch sei es aber, wenn Regierungen beim Ausgeben von Geld heimische Firmen bevorzugen - etwa durch Vorschriften wie "buy local" ("Kaufe heimisch").

Kritik an den USA

Die WTO nennt keine Namen, doch vor allem die Vereinigten Staaten haben sich durch entsprechende Vorschriften weltweit Feinde gemacht. Die "buy-american"-Klausel im viele hundert Milliarden Dollar schweren US-Konjunkturpaket führt nach Angaben auch deutscher Firmen dazu, dass amerikanische Unternehmen bevorzugt Aufträge erhalten. Und das, obwohl Präsident Barack Obama im Frühjahr bei der Verabschiedung des Gesetzes zugesichert hatte, sein Land werde keine internationalen Handelsverträge brechen und keinen Protektionismus zulassen.

Ob die "buy-american"-Klausel gegen die Regeln der WTO verstößt und andere Staaten die Regierung in Washington deshalb verklagen könnten, ist bisher noch unklar. Die Kritik an den Vereinigten Staaten dürfte durch die neue Studie auf jeden Fall zunehmen.

Die Welthandelsorganisation stellt fest, dass ärmere Länder deutlich stärker vom Schrumpfen des Warenaustauschs betroffen sind als die großen Industriestaaten. So müssen die Industriestaaten im Durchschnitt einen Rückgang ihrer Exporte um sieben Prozent hinnehmen. Entwicklungsländer büßen dagegen im Durchschnitt 14 Prozent ein. Das bedeutet, sie verlieren jeden siebten Dollar, den sie bisher mit dem Export ihrer Produkte verdient haben. Trotz der starken konjunkturellen Wirkungen eines größeren Welthandels gibt es derzeit kaum Hoffnung, dass sich die WTO-Nationen auf ein Paket neuer Zollsenkungen verständigen.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2009
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