Süddeutsche Zeitung

BGH-Urteil:Die Verzögerungstaktik wird VW noch lange schaden

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VW wird vom BGH brutal abgestraft für sein Verhalten im Dieselskandal. Der Schaden für den Konzern ist immens. Es wäre besser gewesen, man hätte den Kunden sofort Milliarden gezahlt.

Kommentar von Max Hägler

Das Urteil des Bundesgerichtshofes hätte kaum schlimmer kommen können für Volkswagen. "Sittenwidrig" habe sich der Konzern gegenüber dem klagenden Kunden verhalten, indem die Abgasanlage seines Dieselwagens bewusst umweltschädigender geschaltet worden sei als versprochen. So ein Gebaren sei mit der grundlegenden Wertordnung im Lande nicht vereinbar. Und im Übrigen gebe es auch "hinreichende Anhaltspunkte für Kenntnis des Vorstandes". Gut 25 000 Euro muss VW nun dem Käufer des VW-Sharan erstatten: den Kaufpreis abzüglich der Nutzung. Der Gesamtschaden für den Konzern ist noch gar nicht abzusehen.

Beinahe fünf Jahre dauerte es, bis die höchsten deutschen Zivilrichter nun endlich ein Urteil im VW-Dieselskandal gefällt haben. Es lag an dem Konzern, dass so viel Zeit verstrich, Zehntausende Vergleiche hatte Volkswagen in den vergangenen Jahren bei ähnlichen Fällen mit Kunden geschlossen. Man wollte möglichst alles abräumen, um ein höchstrichterliches Urteil hinauszuzögern. Denn sie ahnten in der Konzernzentrale in Wolfsburg, dass es schmerzhaft werden würde; immer öfter neigten Richter in Vorinstanzen den Positionen der Kläger zu. Sogar eine BGH-Entscheidung ohne Anrechnung der Abnutzung des Wagens wäre denkbar gewesen - das wäre dann das schlimmstmögliche Urteil für VW gewesen. 2,4 Millionen Fahrzeuge gibt es in Deutschland mit diesem Motortyp. Bei einem unterstellten durchschnittlichen Neuwagenwert von 30 000 Euro war das ein Milliardenrisiko.

Es erscheint insofern ökonomisch auf den ersten Blick nachvollziehbar, dass VW auf Verzögerung setzte. Ein Unternehmen schöpft rechtliche Möglichkeiten aus, um Kosten niedrig zu halten, zumal, wenn das Risiko auf Schadenersatz mit der Nutzungsdauer, also der Zeit sinkt. Es ist allerdings absurd, wenn VW nun im Nachgang zum Urteil erklärt, die verbleibenden Klagen "im Einvernehmen mit den Klägern zeitnah" beenden zu wollen. Auch, weil man ja die Justiz schnellstmöglich "entlasten" wolle. Das hätte schon viel früher geschehen können, wenn der Konzern selbst den Weg zum BGH gesucht hätte. Und vieles spricht dafür, dass dies für alle Beteiligten besser gewesen wäre, auch für den beklagten Konzern.

Seit der Skandal im Herbst des Jahres 2015 durch Recherchen von US-Behörden aufflog, waren Kunden auch hierzulande in dauernder Unsicherheit. Das Hin- und Her von Dieselurteilen unterer Instanzen hat den gesellschaftlichen Streit um die Stickoxid-Belastung in den deutschen Städten verschärft. Die Unklarheit in dieser Frage belastet Volkswagen selbst und auch Tochtermarken wie Audi oder Porsche. Belastet wird das Betriebsklima, die Beziehung zu den Kunden, auch der so bitter nötige Neuanfang in Sachen Betriebskultur. Wer nicht eingesteht, einen Fehler gemacht zu haben, bleibt hängen im Alten. Gut möglich, dass diese Last für den Konzern ökonomisch langfristig gefährlicher ist, als es eine Milliardenzahlung gleich am Anfang gewesen wäre.

Weil aber Unternehmen in ähnlichen Fällen auch künftig, eine solche Klärung hinauszögern werden mit Blick auf das kurzfristige Haftungsrisiko, sollte der Gesetzgeber lernen aus dem VW-Skandal. Für solche "Massenhaftungsfälle" muss eine andere, schnellere Form der zivilrechtlichen Aufarbeitung gefunden werden. Davon würden alle Beteiligten profitieren. Und auch dem Rechtsfrieden käme es zugute.

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SZ vom 26.05.2020
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