Süddeutsche Zeitung

Vor Gericht:Millionen Papiere

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Europäische VW-Kunden wollen Zugriff auf geheime Dokumente der US-Justiz, um Schadensersatz auch in Deutschland durchzusetzen.

Von Klaus Ott

Es ist eine bunte Schar aus Europa, die in den USA gegen Volkswagen zu Felde zieht. Eine Engländerin, Franzosen, Italiener, Spanier. Auch drei Deutsche sind dabei, darunter eine Prinzessin, die ihr ganzes Erwachsenenleben angeblich nichts anderes gefahren hat als das Modell Golf. Zuletzt habe die Adelige einen Diesel gekauft, der den Angaben zufolge besonders sauber sein sollte. Nun ärgere sich "Ihre Durchlaucht" schwer darüber, dass sie mit ihrem Golf die Umwelt verschmutze, und wolle VW wegen der Abgas-Affäre auf Schadenersatz verklagen.

So steht es in einer Eingabe von 21 Europäern bei Gericht in Kalifornien. Dort verlangt die bunte Schar aus Europa allerdings nicht Dollars, sondern Akten. Akten, die sich später versilbern lassen. Die von der Kanzlei Hausfeld vertretenen Antragsteller begehren Einblick in zahlreiche Dokumente, die der US-Justiz vorliegen, dort aber bislang unter Verschluss sind. Sie könnten Aufschluss geben über Ausmaß und Verlauf der Abgas-Affäre bei Volkswagen. Etwa Berichte über die internen Ermittlungen bei VW. Nach Angaben der Kanzlei Hausfeld hat Richter Charles R. Breyer für den 25. August eine Verhandlung in dieser Sache angesetzt.

Charles R. Breyer ist jener Richter, der gerade dabei ist, den 15 Milliarden Dollar teuren Vergleich von Volkswagen mit US-Kunden und US-Behörden festzuzurren. Aber auch in Europa fordern viele VW-Fahrer wegen der jahrelang manipulierten Abgaswerte eine Entschädigung, andere wollen ihre Autos zurückgeben und den Kaufpreis erstattet bekommen. Deshalb der Muster-Antrag bei Richter Breyer.

VW will in Übersee "den Deckel "draufmachen". Die Akten bleiben dann unter Verschluss

Die Europäer berufen sich auf den US-Paragrafen mit der Nummer 1782, der es erlauben soll, US-Justizdokumente für Prozesse in anderen Staaten zu benutzen. Die Unterlagen sollen beweisen, wie der VW-Konzern Kunden und Behörden getäuscht und Gesetze gebrochen hat. Mit diesen Informationen, so das Kalkül des US-Anwalts Michael Hausfeld und seiner Mandanten, ließen sich auch Schadenersatzklagen in Europa gewinnen. Doch VW widerspricht einer Freigabe der Dokumente.

Der Kampf um die Akten zeigt, mit welcher Härte VW-Kunden und deren Anwälte nun auch in Europa um Schadenersatz streiten. Wie sehr sich Volkswagen wehrt, um weitere Kosten in Milliardenhöhe zu vermeiden. Und wie schwer es europäischen VW-Fahrern fällt, an jene Informationen zu kommen, die für erfolgreiche Klagen hilfreich wären. Das hängt alles mit der höchst unterschiedlichen Rechtslage zusammen. In den USA sind, anders als in Europa, bei Verstößen schnell hohe Schadenersatzzahlungen und Strafen fällig. Ein Grund dafür ist die Möglichkeit von Sammelklagen, die Verbrauchern und den Anwaltskanzleien viel Macht geben. In Deutschland gibt es das Instrument der Sammelklage nicht.

Zudem können Kläger in den USA verlangen, dass der Prozessgegner sein Innenleben freilegt. Also interne Mails, Protokolle, Vermerke, Ergebnisse eigener Untersuchungen bei Gericht vorlegt. Deshalb versuchen Hausfeld und seine europäischen Mandanten, in den USA das nötige Material für Klagen in Europa zu sammeln. VW und die Tochter Porsche entgegnen, Hausfeld und dessen Mandanten wollten auf "Fischzug" gehen. Einfach mal nachschauen, was die mehr als acht Millionen Seiten bei der US-Justiz über Volkswagen und die Abgas-Affäre an Informationen hergäben, darunter "streng vertrauliche" Firmen-Unterlagen. In der Hoffnung, dass sich davon etwas irgendwann vor Gericht in Europa gegen VW verwenden lasse. Das sei aber nicht der Sinn des Paragrafen 1782.

In Konzernkreisen ist von einer "Klageindustrie" die Rede. Konkret: Hausfeld und diversen anderen Kanzleien, die Massen-Klagen auch in Europa vorbereiten oder schon betreiben, gehe es nicht um Gerechtigkeit, sondern nur um Geld.

Der Konzern hat, um die Abgas-Affäre finanziell bewältigen zu können, 17,8 Milliarden Euro zurückgestellt. Dieser Betrag wird schon für die Leistungen in den USA benötigt. Kämen nun - auch wegen der viel größeren Zahl von Klägern - hohe Schadenersatzzahlungen in Europa hinzu, müsste VW wohl Konzernteile verkaufen: Eine der vielen Fahrzeug-Marken zum Beispiel, die von VW über Audi und Porsche bis Seat, Skoda oder Bugatti und Bentley reichen. Oder die Lkw-Sparte mit VW-Nutzfahrzeuge, MAN und Scania. Eine Aufspaltung des Konzerns, das wollen Vorstandschef Matthias Müller, Aufsichtsratschef Hans-Dieter Pötsch und Betriebsratschef Bernd Osterloh unbedingt vermeiden. Genauso wie die Großaktionäre, die Familien Porsche und Piëch, das Land Niedersachsen und das Öl-Emirat Katar. Und wie die IG Metall.

VW will in den USA, wie Insider bestätigen, "den Deckel drauf machen". Und so nebenbei dafür sorgen, dass der Großteil der Untersuchungsakten unter Verschluss bleibt. Das könnte mit Schadenersatzzahlungen und Strafen in Übersee in Höhe von insgesamt 15 bis 20 Milliarden Dollar auch gelingen. Die Rückstellungen wären dann so gut wie weg. Aber sie wären für VW wohl gut investiertes Geld. Weil die US-Behörden dann vermutlich kein Interesse mehr hätten, ihre Akten umfassend freizugeben. Davon gehen selbst deutsche Ermittler aus, die den Fall VW ebenfalls untersuchen. Und die intern darüber klagen, dass man von den Kollegen aus den USA kaum Informationen bekäme.

Die Argumente von Volkswagen lassen sich in etwa so zusammenfassen: In Europa seien keine Schadenersatzzahlungen nötig, weil man die 8,5 Millionen betroffenen Diesel-Fahrzeuge hier ja in Ordnung bringe. Weil die europäischen Grenzwerte für Stickoxide, die Mensch und Natur belasten, höher seien als in den USA. Weil das europäische Verbraucher-Recht weniger streng sei als die US-Vorschriften. Die Bundesregierung stützt diese Linie. Bei den deutschen Behörden ist für VW-Kunden ohnehin nichts zu holen an Informationen, die sich vor Gericht verwerten ließen. Das Kraftfahrt-Bundesamt lehnt Anträge von Kanzleien und Umweltverbänden auf Akteneinsicht weitgehend ab. Da hilft selbst das Informations-Freiheitsgesetz nichts, das Behörden zu einer gewissen Offenheit verpflichtet.

Die Kanzlei Hausfeld versucht ihr Glück auch in Irland. In der Hoffnung, über ein dortiges Verfahren Zugang zu US-Akten zu bekommen. Ein mühsamer Umweg. Zunächst aber ist US-Richter Breyer gefragt.

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Quelle:
SZ vom 18.08.2016
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