Süddeutsche Zeitung

Versicherungen:Schluss mit teuer

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Der digitale Krankenversicherer Oscar will die Kosten im Gesundheitssystem der USA senken. Das Unternehmen schließt direkt Verträge mit Ärzten und Kliniken ab.

Von Herbert Fromme, New York

Ein Krankenhaus in Texas behandelt einen Patienten wegen eines Schlangenbisses, das Tier war hochgiftig. Das kommt in diesem Teil der Welt nicht selten vor. Ganz unnormal ist dagegen die Rechnung des Klinikbetreibers: Er verlangt eine Million US-Dollar, weil er ein seltenes Serum besorgen musste. Oscar, der Krankenversicherer des Patienten, will das nicht hinnehmen. Am Ende zahlt der Versicherer weniger als ein Zehntel. Aber auch das ist ein heftiger Betrag.

Dieser Fall sei symptomatisch, sagt Oscar-Gründer und Chef Mario Schlosser im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Die hohen Preise der Ärzte und Krankenhäuser sind der wesentliche Grund dafür, dass das Gesundheitssystem in den USA doppelt so teuer ist wie in vielen europäischen Ländern", sagt Schlosser. "In allen anderen Gesundheitssystemen sind die Kosten auf der Anbieterseite gedeckelt, hier nicht." Die Ärzte können die Preise für ihre Leistungen selbst bestimmen, auch wenn es Mondpreise sind. "So lange jemand bezahlt, ist das nicht illegal."

Ein solches System sei auf Dauer nicht tragfähig, glaubt Schlosser. Gemeinsam mit Joshua Kushner - dem Bruder von Trump-Schwiegersohn Jared Kushner - und Kevin Nazemi ist der Deutsche deshalb 2012 angetreten, den Auswüchsen des US-Systems mit einem neuen Modell beizukommen. Ihr digitaler Krankenversicherer Oscar schließt Verträge mit Ärzten, Krankenhäusern und anderen Leistungsanbietern ab. Außerdem versucht Oscar, seine Versicherten gezielt im Gesundheitswesen zu steuern.

Das New Yorker Unternehmen hat inzwischen 250 000 Versicherte und ist in sechs US-Bundesstaaten aktiv. "Im nächsten Jahr sind wir in neun Bundesstaaten und 14 Städten präsent", kündigt Schlosser an. Der Umsatz liegt bei 1,2 Milliarden Dollar. Da im ersten Halbjahr traditionell weniger Rechnungen eingereicht werden und wegen des komplexen Risikoausgleichs unter den US-Krankenversicherern konnte Oscar im ersten Halbjahr 2018 sogar einen Gewinn verbuchen. "Im Gesamtjahr 2018 werden wir aber wieder einen Verlust machen", sagt er. Das liegt vor allem an den hohen Kosten für die weitere Expansion und die stetige Verbesserung der Technik.

Expandieren will Oscar nicht nur in neue Bundesstaaten, sondern auch in neue Märkte. "2020 gehen wir in die Medicare Advantage Versicherung", sagt Schlosser. Medicare ist das staatliche Krankenversicherungsprogramm für über 65-Jährige und Menschen mit Behinderungen. Bei Medicare Advantage übernehmen private Anbieter Teile der Versicherungsleistungen.

Im August 2018 hat sich die Google-Muttergesellschaft Alphabet an Oscar beteiligt. Es handele sich um ein rein finanzielles Engagement, sagt Schlosser. Alphabet hält etwas weniger als zehn Prozent, auch der Founders Fund von Investor Peter Thiel und die Fondsgesellschaft Fidelity sind beteiligt. Über einen Fonds kontrollieren Schlosser und sein Kompagnon Kushner die Mehrheit. Für die Arbeit von Oscar spielen die familiären Verbindungen Kushners zum Weißen Haus keine Rolle, betont Schlosser.

Insgesamt haben die Investoren Oscar mit etwa einer Milliarde Dollar ausgestattet. Alphabet hat für seinen Anteil 375 Millionen Dollar bezahlt. Das heißt, Oscar wird von seinen Anteilseignern aktuell mit mehr als 3,75 Milliarden Dollar bewertet.

Oscar kooperiert mit Klinikanbietern und baut um sie herum ein Netz an Leistungserbringern auf. Die Kooperationen ermöglichen es dem Krankenversicherer, Einfluss auf die Kosten zu nehmen. Ärzte und Kliniken auf der anderen Seite profitieren von der Zuweisung der Patienten.

Beispiel Cleveland. Dort arbeitet Oscar mit der Cleveland Clinic zusammen. Sie bieten gemeinsam eine Krankenversicherung an und tragen die Risiken zu je 50 Prozent. Dadurch hat auch das Krankenhaus Interesse daran, die Kosten einzudämmen. Planbare Operationen müssen sich die Ärzte anders als sonst üblich nicht vorab genehmigen lassen. 11 000 Versicherte hat das Modell inzwischen. "Das können sehr schnell noch viel mehr werden."

Das Unternehmen bietet den Versicherten an, sich bei allen Fragen rund um die Gesundheit von einem sogenannten Concierge-Team aus sechs Mitarbeitern beraten zu lassen, darunter immer auch Krankenpfleger und -schwestern. Die Mitarbeiter helfen bei der Einschätzung von gesundheitlichen Problemen und der Suche nach geeigneten Behandlern. Das kommt offenbar gut an. "Die Versicherten lassen sich gern an die Hand nehmen", berichtet Schlosser. Wenn die Kunden zum ersten Mal einen Arzt aufsuchen, informieren sie sich vorher zu 40 Prozent über Oscar: beim Concierge-Team, auf der App oder der Webseite. "Das ist zehn Mal mehr als bei anderen Versicherern, die so etwas anbieten", sagt Schlosser nicht ohne Stolz. "Wir wissen viel über die Ärzte und können besser erklären, wer für welches Problem gut ist."

Oscar setzt stark auf die Telemedizin: Die Patienten tauschen sich per Video oder Chat mit einem Arzt aus, ohne eine Praxis aufsuchen zu müssen. "30 bis 40 Prozent unserer Mitglieder nutzen Telemedizin", sagt er. Oscar beschäftigt knapp 50 Ärzte für die telemedizinische Versorgung. Künftig sollen es noch wesentlich mehr werden.

Der Versicherer will es für die Kunden leichter machen, Operationen oder Arztbesuche über die App zu planen. Auch das Abrechnungssystem soll noch wesentlich leichter und schlanker werden. Das erfordert wieder hohe Investitionen in die IT. Die Krankenversicherung ist in den USA wie in den meisten Ländern hoch politisch, Präsident Trump hat die Wahl auch mit dem Versprechen gewonnen, das von seinem Vorgänger Barack Obama eingeführte System abzuschaffen. "Aber inzwischen hat sich die Lage bei der Regulierung beruhigt", sagt Schlosser. "Ich bin fest davon überzeugt, dass sich das Gesundheitswesen in den USA individualisieren muss, weg von der Versicherung über die Firma hin zur Versicherung des Einzelnen." Auch bei Ärzten und Kliniken sei der Frust groß über das bisherige System. "Die Uhr kann nicht mehr zurückgedreht werden."

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Quelle:
SZ vom 05.12.2018
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