Süddeutsche Zeitung

Versicherungen:Ein Blick in die Augen

Lesezeit: 3 min

Generali kommt mit einer App auf den Markt, die in zwei Minuten die Sauerstoffsättigung des Blutes, Atem- und Herzfrequenz sowie die Herzfrequenz-Variabilität misst.

Von Herbert Fromme, Köln

Zwei Minuten auf einen Punkt zu starren, das kann lang sein. Doch wenn es nach dem Versicherer Generali geht, werden viele seiner Kunden diese Prozedur demnächst täglich auf sich nehmen und so lange in die Kamera ihres Smartphones schauen.

Die Generali will ab 2021 eine App anbieten, die durch die Analyse der Blutgefäße im Gesicht wichtige Gesundheitsdaten messen kann: die Sauerstoffsättigung des Blutes, die Atemfrequenz, die Herzfrequenz und die Herzfrequenz-Variabilität. Mit Hilfe eines Programms, das Verfahren der künstlichen Intelligenz nutzt, werden die Daten analysiert. Die Ergebnisse sind auf dem Smartphone ablesbar.

Für das Angebot hat sich die Generali Deutschland mit dem israelischen Start-up Binah.ai und der Beratungsfirma SDG Group zusammengetan. Die Technik hinter der Untersuchung heißt "Remote Photoplethysmographie". Plethys heißt auf Altgriechisch "Fülle", "Graphie" heißt schreiben. Das Verfahren zeichnet also die Füllung der Blutgefäße auf - und tut das kontaktlos mit der Kamera. Entscheidend ist neben der sauberen Aufzeichnung die exakte Interpretation der Ergebnisse.

Eine ähnliche Technik verwendet bereits eine Reihe von Versicherern weltweit, zum Beispiel der chinesische Anbieter Ping An. Aber auf dem deutschen Markt dürfte die Generali mit der App, die vier wichtige Parameter misst, der erste Anbieter sein.

Der Versicherer will die App mit einem Angebot bündeln, das er "VitalSigns & Care" nennt. Kunden kaufen mit der App Assistance-Dienstleistungen bei dem Versicherer. Dabei geht es um Leistungen in der Gesundheitsfürsorge, Hilfe im Haushalt, bei Pflege und bei Reisen. Wie teuer das wird, steht noch nicht fest. Die App ist kein Medizinprodukt, sondern wird als "Selbstüberwachungsinstrument" angeboten. Deshalb benötigt die Generali dafür keine Zulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Mit dem System versucht die Generali, sich als Partner im Alltag der Kunden zu etablieren. Alle Versicherer haben dasselbe Problem: Außer beim Abschluss einer Police, der Prämienzahlung und einem möglichen Schaden haben sie kaum Kontakt zu ihren Kunden. Ausnahme sind die privaten Krankenversicherer. Aber auch bei ihnen beschränkt sich die Kommunikation auf die Einreichung von Rechnungen oder Rezepten und die Erstattung.

Die Sorge der Branche: Weil Online-Portale wie Check24 und Verivox auf dem Vormarsch sind und auch die Internet-Giganten Amazon und Apple sich mit Finanzdienstleistungen und Versicherungen befassen, könnten die Gesellschaften den Kontakt zu ihren Kunden ganz verlieren - und reine Zulieferer werden.

Die Antwort der Versicherer heißt im Branchenjargon "Ökosystem". Die Kunden sollen durch umfassende Dienstleistungen an die Gesellschaften gebunden werden. Generali-Deutschlandchef Giovanni Liverani hat eine klare Devise ausgegeben: Seine Gesellschaft will "Lifetime Partner" der Kunden sein, der lebenslange Partner.

Dass dies kein einfaches Unterfangen ist, hat die Generali schon erfahren müssen. Sie hat 2016 das in Südafrika entwickelte Versicherungsprogramm Vitality auf den Markt gebracht. Eine App überwacht Fitnessaktivitäten und Einkaufsverhalten, als Belohnung gibt es Gutscheine von Adidas oder Amazon und Nachlässe auf die Versicherungsprämie. Aber bislang ist Vitality kein großer Erfolg - jedenfalls weigert sich das Unternehmen hartnäckig, Nutzerzahlen zu nennen.

Das könnte bei dem neuen Angebot anders sein. Denn der Trend zu mehr gesundheitlicher Vorsorge verstärkt sich aktuell, dafür sorgt auch die Covid-19-Pandemie. Dabei spielen digitale Hilfsmittel eine immer größere Rolle. Uhren messen die Herzfrequenz und den Herzrhythmus, zahlreiche Apps auf Smartphones helfen bei der Überwachung des eigenen Körpers.

Eine repräsentative Umfrage der Berliner Marktforschungsfirma EPatient Analytics hat ergeben, dass 26 Prozent der Bevölkerung, die das Internet nutzen, über eine App zu den Themen Ernährung, Sport und Entspannung verfügen oder an einem Online-Kurs teilgenommen haben, meldet die Ärzte Zeitung. Immerhin 14 Prozent - das sind 9,8 Millionen Menschen - verfügen über eine App, mit der über das Mobiltelefon Puls, Blutdruck oder Hautveränderungen erfasst werden können.

Die Generali rechnet sich Chancen wegen ihrer besonderen Technik aus. Allerdings ist der Markt stark in Bewegung. Private und gesetzliche Krankenversicherer arbeiten an Lösungen, um die Kunden digital zu unterstützen. Im Dezember 2019 ist das "Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation" in Kraft getreten, nach dem Ärzte Gesundheits-Apps verschreiben dürfen. Die fünf ersten Apps hat das BfArM inzwischen zugelassen. Die Generali wird keine Zulassung suchen.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Versicherer mit seiner Gesichts-App lange allein bleibt. Aber als erster Anbieter kann er einen erheblichen Vorsprung im dem umkämpften Markt erlangen.

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