Süddeutsche Zeitung

Versicherungen:Der Mythos vom Sparen

Lesezeit: 3 min

Die Bundesbürger schließen immer mehr Versicherungen im Netz ab. Das ist bequem, aber billig ist es nicht. Denn die Anbieter haben viele Kosten, die es abzudecken gilt. Zum Beispiel für gute Anzeigenplatzierungen bei Google.

Von Christian Bellmann und Lisa-Shirin Raja, Köln

Ein paar Mausklicks statt zäher Verkaufsgespräche mit dem Versicherungsvertreter oder dem Makler vor Ort - Versicherungen im Internet abzuschließen, ist bequem und beliebt wie nie. Die Schweizer Beratungsfirma Adcubum hat Anfang 2019 mehr als 1 000 Deutsche befragt. Das Ergebnis: 69 Prozent können sich vorstellen, online eine Police zu kaufen. Das ist ein Anstieg um zwölf Prozentpunkte gegenüber der Umfrage im Jahr 2018.

Auch die Zahl der Kunden, die schon einmal eine Versicherung online abgeschlossen haben, ist gestiegen - um drei Prozentpunkte auf 70 Prozent. Auffällig ist: Bei den Menschen zwischen 35 und 54 Jahren sind es 72 Prozent, bei den über 55-Jährigen sogar 77 Prozent. Dagegen haben nur 59 Prozent der Millennial-Generation zwischen 18 und 34, die sich einen Online-Abschluss vorstellen können, das auch schon einmal in die Tat umgesetzt. Allerdings sind viele jüngere Menschen während Ausbildung und Studium ohnehin über ihre Eltern versichert und müssen sich gar nicht entscheiden, ob sie online oder über einen Vertreter oder Makler kaufen.

Die meisten Kunden sind überzeugt, dass sie online eine günstigere Police erhalten. Sie gehen auch davon aus, dass eine Internet-Police flexibler angepasst und schneller gekündigt werden kann und dass der Versicherer rund um die Uhr erreichbar ist. "Die Bereitschaft des Kunden, mit ein paar Klicks selbst eine komplette Versicherung abzuschließen, ist mit der Vorstellung verbunden, mehr Gegenwert für sein Geld zu bekommen", sagt der Adcubum-Deutschlandchef Michael Süß.

Verbraucherschützer halten das für einen Trugschluss. "Allein der Mythos der geringeren Kosten reicht oft aus, um Verbraucher zu einem schnellen Online-Geschäft zu bewegen", sagt Peter Grieble von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Es handele sich beim Internet lediglich um einen anderen Vertriebskanal. Und der ist nicht unbedingt preiswerter als andere.

Vergleichsportale wie Check 24 und Verivox sind oft die erste Anlaufstelle. Mit ein paar Angaben erhält der Verbraucher ein Ranking. Welche Angebote bei den Portalen oben stehen, hängt häufig vom Preis ab. Dass es weiter unten in der Liste möglicherweise Policen gibt, die für etwas mehr Geld bessere Leistungen bieten, wird häufig übersehen. Verbraucherschützer Grieble kritisiert, dass die Abfrage der Kundenbedürfnisse auf den Portalen in wenigen Minuten erledigt ist und deshalb die Gefahr bestehe, dass die Beratung zu kurz kommt. "Wenn ein Makler versucht, alle Merkmale des Kunden in seinen Tarifvergleichsrechner einzugeben, braucht er je nach Produkt 15 bis 60 Minuten", sagt er.

Auch die Portale sind rechtlich gesehen Versicherungsmakler mit kommerziellen Interessen und leben von Provisionen der Versicherer. "Wir raten dazu, diese nicht wirklich unabhängigen Vergleiche nur als Informationsquelle zu benutzen", sagt Grieble. Eine Reihe großer Anbieter will sich nicht listen lassen und taucht daher in den Vergleichen erst gar nicht auf, so der größte Kfz-Versicherer HUK-Coburg.

Direktversicherer wie HUK24, Cosmos Direkt (Generali) oder Allsecur (Allianz) gehören oft zu den günstigsten Anbietern. Allerdings: Direktversicherer haben zwar keinen teuren Außendienst und zahlen kaum Provisionen. Aber sie geben genau wie Check 24 und andere Portale Millionen für Fernseh- und Radiowerbung aus. Auch gute Anzeigenplatzierungen in den Google-Suchergebnissen lassen sie sich viel kosten. Die Vertriebskosten der Direktanbieter sind deshalb nicht so niedrig wie oft angenommen. Aber Online- Abschlüsse sind bequem - und deshalb attraktiv.

Grieble appelliert an die Kunden, sich Zeit für eine ausführliche Beratung zu nehmen, vor allem bei Policen zur Absicherung von existenziellen Risiken. "Eine Autoversicherung ist schnell wieder gekündigt, aber gerade bei komplexen Produkten wie eine Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung sind die Laufzeiten lang, und man kommt nicht so einfach aus einem Vertrag heraus", sagt er.

Doch wer bei einem Versicherungsvertreter grundsätzlich eine gute Beratung erwartet, wird oft enttäuscht. Denn ein Vertreter vertritt in der Regel nur eine Gesellschaft, hat also ein sehr begrenztes Angebot im Aktenkoffer. Und bei der Beratung geht es vor allem ums Verkaufen. Jeder potenzielle Versicherungskunde sollte sich deshalb auf jeden Fall auch im Internet informieren. Wenn er nicht online abschließen will, muss er entscheiden, ob er sich kostenpflichtig von einem Versicherungsberater oder einer Verbraucherzentrale beraten lässt, oder vermeintlich kostenlos mit einem Vertreter oder Makler spricht. Dann zahlt er für das Gespräch über eine höhere Prämie. So oder so: Billig ist der Kauf einer Versicherung nie.

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Quelle:
SZ vom 06.05.2019
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