Süddeutsche Zeitung

Vermögensteuer in Frankreich:Reiche Franzosen zahlen mehr als 100 Prozent Steuern

Lesezeit: 3 min

Mehr als 8000 Franzosen mussten im vergangenen Jahr dem Staat mehr Steuern bezahlen, als sie verdienten. So viele waren es noch nie. Kein Wunder, dass die Wut auf die sozialistische Regierung steigt - auch wenn sich viele Betroffene nicht gegen die 100-Prozent-Steuer zur Wehr setzen.

Von Michael Kläsgen, Paris

André Sourisseau trägt weder eine goldene Armbanduhr noch einen Maßanzug. Der pensionierte Winzer fährt auch kein Luxusauto. Stattdessen steigt der grauhaarige Mann in ein Gefährt älteren Baujahres, das nur mit dem Geschick jahrelanger Übung fortzubewegen ist. Auch im Haus des Franzosen deutet nichts auf Reichtum hin; keine Picassos, kein Prunk und Protz weit und breit. Sein Eigenheim auf der schönen Atlantikinsel Île de Ré ziert stattdessen das Nötigste: ein altes Sofa, ein verkratzter Holztisch, ein paar fahle Lampen. Dennoch verlangte der französische Staat von dem Rentner in der Vergangenheit gut 9000 Euro Vermögensteuer, pro Jahr, versteht sich.

Sein Haus mitsamt Grundstück - alles Bauland - ist wegen der rasant gestiegenen Immobilien- und Grundstückspreise auf dem Eiland so viel wert, dass er dafür "Reichensteuer" zahlen musste. Zeitweise fraß die Steuer seine Rente ganz auf. Die hatte er, als er jünger war, zwar versucht, etwas aufzubessern, indem er in Teilzeit Briefe austrug. Doch "reich" wurde er damit nicht. Einkommensteuer zahlte er nie. Seine Einkünfte blieben immer unter der Bemessungsgrenze. So kam es zu einer paradoxen Situation: Er war vermögen-, aber nicht einkommensteuerpflichtig.

Im vergangenen Jahr waren es mehr als 8000 Franzosen, die mehr Steuern zahlten, als sie verdienten. So viele waren es noch nie. Gérard Depardieu flüchtete wegen der hohen Steuern für "Reiche" ins Ausland, verkaufte sein Stadtpalais in Paris, erwarb stattdessen ein Zöllnerhäuschen in Belgien und nahm die russische Staatsangehörigkeit an. In einem öffentlichen Brand- und Abschiedsbrief beschimpfte er die sozialistische Regierung und ihren Spitzensteuersatz von 75 Prozent für Einkommen ab einer Million Euro. Der Verfassungsrat kippte die Steuer zwar Ende 2012, die Sozialisten wollen aber an der vorrübergehenden Sonderabgabe festhalten und basteln derzeit an einem neuen Konstrukt.

Ein Grund mehr für den Schauspieler Depardieu, einstweilen nicht nach Frankreich zurückzukehren. Er bezeichnet sich inzwischen als "glücklichen russischen Künstler". "Mit der Sprache klappt es noch nicht so gut, aber meine Steuern zahle ich wie angekündigt in Russland", sagte der 64-Jährige der Moskauer Tageszeitung Komsomolskaja Prawda. Am Dienstag lud er in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny zu einer Pressekonferenz. Er wollte nicht nur über seinen neuen Film "Turqoise" berichten, sondern am Rande auch für sein neues Café werben, das er in Saransk eröffnen will. Der Filmstar ist nämlich nebenher Unternehmer. In Saransk, in der russischen Teilrepublik Mordwinien, 650 Kilometer östlich von Moskau, ist er beim Finanzamt gemeldet.

Sein Groll auf die französischen Sozialisten erklärt sich wie der vieler anderer Vermögender so: Die Sozialisten wollen nicht nur die 75-Prozent-Steuer durchsetzen, weil sie ein Wahlversprechen des Präsidenten François Hollande ist. Sie machten auch kurz nach dessen Wahl die Reform der Vermögensteuer rückgängig, die sein Vorgänger Nicolas Sarkozy auf den Weg gebracht hatte.

Die Abgabe auf Vermögen von mehr als 1,3 Millionen Euro pro Haushalt wurde 2012 erstmals seit 25 Jahren nicht durch ein Steuerlimit begrenzt. Deswegen schnellte nicht nur die Anzahl derjenigen nach oben, die auf dem Papier mehr als 100 Prozent Steuern zahlten. Es kommen weitere knapp 10.000, die mehr als 85 Prozent, und knapp 12.000 hinzu, die mehr als 75 Prozent ihres steuerpflichtigen Einkommens abführen mussten.

Die Zahlen stammen vom Pariser Finanzministerium, das kaum Interesse an ihrer Veröffentlichung hat. An die Presse weitergegeben wurden sie vom konservativen Abgeordneten Gilles Carrez, der Mitglied des Finanzausschusses im Parlament ist und so Einblick in Zahlen hat. Überraschend ist vor allem, dass es auch schon 2011 mehr als 5000 Franzosen gab, die mehr Steuern zahlten, als sie verdienten. Wobei das mit dem "Verdienen" so eine Sache ist. Nicht nur, weil sich manche fragen, ob andere das auch wirklich verdienen, was sie verdienen. Sondern weil Kapitaleinkünfte beispielsweise aus Dividenden niedriger besteuert werden als das Einkommen aus Arbeit. Das sogenannte Markteinkommen aus Kapital kann in bestimmten Fällen wesentlich höher sein als die Einkünfte aus Lohn und Gehalt.

Mindestens ebenso überraschend ist, dass 2011 die Hälfte der Betroffenen keinen Antrag auf Anwendung der Steuerobergrenze stellte. Nur dann erhält man Geld vom Fiskus zurück.

Gibt es womöglich in Frankreich Menschen, die gern Steuern zahlen?

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SZ vom 22.05.2013
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