Süddeutsche Zeitung

Turkish Airlines:Der Terror verunsichert die Passagiere

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Die Fluggesellschaft Turkish Airlines will stark expandieren - doch die Zahl der Touristen, die in die Türkei reisen, ist schon vor den verheerenden Anschlägen am Flughafen Istanbul gesunken.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Leute, die vor Ort waren, fanden die Geschwindigkeit fast gespenstisch. Gerade erst waren Bomben am Flughafen Istanbul explodiert, 48 Menschen waren dabei ums Leben gekommen und mehr als 200 verletzt worden. Doch nach einer kurzen Unterbrechung entschieden Behörden und Fluggesellschaften, den Flughafen wieder zu öffnen und die Flugzeuge wieder starten und landen zu lassen. Business as usual, als ob nichts gewesen wäre. Nur nicht den Eindruck erwecken, als habe sich etwas grundsätzlich geändert.

Ob Turkish Airlines so weitermachen kann wie bisher, als ob nichts gewesen wäre, ist eine Frage, die den Luftverkehrssektor derzeit stark bewegt. Turkish ist wegen des starken Wachstums vor allem aus Sicht ihrer europäischen Konkurrenten binnen Kurzem zu einer sehr ernst zu nehmenden Bedrohung geworden. Die teilstaatliche Fluggesellschaft nimmt Lufthansa, Air France und den anderen immer mehr Passagiere ab. 2018 soll der neue Istanbuler Flughafen eröffnet werden, der in der Endausbaustufe Platz für mehr als 150 Millionen Passagiere jährlich haben soll, mehr als doppelt so viel wie Frankfurt. Turkish gibt vor allem beim Sport-Sponsoring, unter anderem bei der gerade laufenden Fußball-Europameisterschaft, ein Vermögen aus, um die eigene Marke weltweit bekannt zu machen. Ein Anschlag auf das Drehkreuz in Istanbul ist da auch wirtschaftlich das Schlimmste, was passieren kann.

Das Unternehmen hat sich seit den Attacken noch nicht zu möglichen Planänderungen geäußert. Da aber Turkish ein wichtiger Teil der Wirtschaftspolitik der türkischen Regierung ist, darf man getrost davon ausgehen, dass es mit der Expansion weitergehen soll, wenn dies nur irgendwie möglich ist. Doch der Gegenwind wird stärker: Die Unsicherheit, wie die Passagiere reagieren werden, trifft die Fluggesellschaft in einer Phase starken Wachstums. Bis Jahresende soll die Kapazität um 20 Prozent steigen, vor allem im USA-Geschäft legt Turkish enorm zu. Dort bot Turkish im ersten Quartal fast 50 Prozent mehr Sitze an, allerdings musste das Unternehmen die Preise um 20 Prozent senken, um das Angebot auch einigermaßen abzusetzen.

Seit Beginn des Jahres hat die Aktie fast 20 Prozent ihres Wertes verloren

Was passiert, wenn die Schere zwischen Angebot und Nachfrage zu sehr auseinanderklafft, musste Turkish bereits in den ersten drei Monaten des Jahres am eigenen Leib erfahren: Das Angebot wuchs um fast 20 Prozent, der Verkehr aber nur um 14,6 Prozent, die Auslastung ging um fast drei Punkte auf im Branchenvergleich eher mäßige 74 Prozent zurück. Und der Umsatz (pro Sitzkilometer) sank um 17 Prozent. Der Netto-Verlust von 421 Millionen Dollar war der höchste seit Jahren. Und mittlerweile sind die Investoren skeptischer geworden, was die Strategie von Konzernchef Temel Kotil angeht. Seit Jahresanfang verlor die Aktie fast 20 Prozent, in den vergangenen zwölf Monaten etwa ein Drittel ihres Wertes.

Die Rahmenbedingungen im türkischen Luftverkehr waren schon vor den Anschlägen vom 28. Juni schwierig: Im Mai ist die Zahl der Touristen, die in das Land reisen, um 35 Prozent gesunken. Allerdings ist Turkish relativ wenig vom touristischen Verkehr in ihr Heimatland abhängig: Nach einer Aufstellung der Unternehmensberatung Center for Aviation (CAPA) steigen nur sieben Prozent aller Turkish-Passagiere von einem internationalen Flug auf eine Inlandsverbindung um. Nur 20 Prozent der Passagiere sind auf einem Nonstop-Flug gebucht, insgesamt fliegen also nur 27 Prozent aller Gäste aus dem Ausland in die Türkei und bleiben dann dort auch. Weitere 43 Prozent der Passagiere waren im ersten Quartal 2016 auf einem Inlandsflug unterwegs.

Die große Frage ist nun, ob der Anschlag auf den Atatürk-Flughafen das Passagiersegment trifft, auf das Turkish die größten Hoffnungen setzt: diejenigen, die Istanbul nur als Umsteigeort zwischen zwei internationalen Flügen nutzen. Diese Gruppe macht bei Turkish mittlerweile knapp ein Drittel der Fluggäste aus. Wenn man so niedrige Kosten hat wie Turkish, sind die Wachstumschancen in dem Segment enorm, weil die Fluggesellschaft mit den modernen Langstreckenflugzeugen und den neuen effizienten Kurz- und Mittelstreckenjets fast beliebig viele Zielmärkte abgrasen kann.

Bei den Preisen können die Konkurrenten, die in der Regel höhere Kosten als Turkish haben, auch nicht mithalten. Die Risiken sind allerdings auch nicht zu unterschätzen. Denn all diese Passagiere müssen nicht über Istanbul fliegen, um an ihr Ziel zu gelangen - sie haben in der Regel mehrere Alternativen. Sie könnten sich nun wegen der Sicherheitslage entscheiden, lieber über Dubai, Doha oder Frankfurt zu fliegen, auch wenn die Bomben in Istanbul außerhalb des Sicherheitsbereiches und nicht im Terminal explodiert sind.

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Quelle:
SZ vom 07.07.2016
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