Süddeutsche Zeitung

Türkei:Talfahrt ins Ungewisse

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Nach der Erhöhung des Leitzinses hat sich die Lage am Aktienmarkt in Istanbul etwas beruhigt - die Skepsis bleibt.

Von Thomas Jordan, München

Das Schlimmste, das waren die Monate August bis September dieses Jahres. Damals stand der türkische Aktienindex Istanbul Stock Exchange (ISE) mit bis zu 24 Prozent im Minus, verglichen mit seinem Niveau am Jahresanfang. Derzeit schwanken die Kurse immer noch stark, aber sie sind wieder etwas höher. "Wahrscheinlich haben wir das Schlimmste hinter uns", sagt Ekaterina Iliouchenko, Anlageexpertin für Emerging Markets bei der Fondsgesellschaft Union Investment. Ist die Talsohle also durchschritten?

Die türkische Volkswirtschaft hat mit vielen Problemen zu kämpfen: Die Lira hat erheblich an Wert verloren. Seit Anfang des Jahres hat die Währung in der Spitze 45 Prozent zum Dollar eingebüßt. Im Oktober gab es für einen Euro 6,30 türkische Lira - ein Jahr zuvor hatte der Kurs noch bei 4,40 Lira für einen Euro gelegen.

Durch den Währungsabsturz zog auch die Inflation gehörig an: Mit 25 Prozent erreichte sie im Oktober dieses Jahres den höchsten Stand seit 2003: All das hat auch die türkischen Unternehmen kräftig in Mitleidenschaft gezogen. Sie müssen viel höhere Zinsen zahlen, um sich Geld für Investitionen zu leihen. Ein astronomisch hoher Zinssatz von 42 Prozent ist für türkische Firmen zurzeit keine Ausnahme.

Aber auch die Banken selbst zahlen hohe Zinsen, die Aktienkurse der Geldhäuser sind deshalb unter Druck geraten: Die Aktie der zweitgrößten Bank des Landes etwa, der Türkiye İş Bankası A.S., verlor seit Anfang des Jahres knapp die Hälfte ihres Wertes auf nunmehr vier türkische Lira.

Im September hatte es einen drastischen Zinsschritt gegeben. Die türkische Zentralbank hatte den Leitzins von 17,75 Prozent auf nun 24 Prozent angehoben. Die Panik sei dadurch verschwunden, das bestätigen viele in dem Land. Und auch die Lira erholte sich, zumindest etwas. Am Freitag kostete ein Euro aktuell 6,10 Lira.

Nicht alle professionellen Beobachter sind jedoch so optimistisch, wie die Anlageexpertin Iliouchenko. Ulrich Leuchtmann, Leiter Devisen- und Marktresearch Emerging Markets bei der Commerzbank, befürchtet, dass die gegenwärtige Erholung nicht anhält. "Das Grundproblem einer Zentralbank, die immer erst zu spät handelt, ist nicht gelöst worden." Schließlich liege die Inflation mit 25 Prozent bereits wieder über dem Leitzins, sagt er.

Die Anleger hätten seit dem türkischen Präsidentschaftswahlkampf viel Vertrauen verloren. Aus Marktsicht seien die staatlichen Währungshüter in der Türkei nicht frei. "Man weiß nicht, ob Erdoğan auch in Zukunft eine vorausschauende Geldpolitik erlaubt." Die aktuelle Entwicklung sieht Leuchtmann eher als Verschnaufpause, denn als Ende der Talfahrt. Er rechnet sicher damit, dass die Lira bald wieder schwächer wird

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Quelle:
SZ vom 17.11.2018
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