Süddeutsche Zeitung

Automobilbau:Elon und die Zauneidechsen

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Tesla-Chef Musk wollte sich beim Bau der Gigafabrik in Brandenburg selbst überholen. Eine zusätzliche Batteriefabrik stellt den ehrgeizigen Zeitplan nun infrage.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Blickt man aus der Perspektive von Schlingnattern und Zauneidechsen auf Deutschlands derzeit spektakulärste Baustelle, dann könnte man sagen: Es geht voran. "Neuer Lebensraum" steht auf einem kleinen Schild, das ein mehrere Fußballfelder großes Areal begrenzt. Darin zwitschern die Vögel auf den Fichten, zahlreiche Steinhaufen sind errichtet und Ansammlungen von totem Holz aufgeschüttet worden. Sie sind das neue Zuhause für all die Tiere, die für Teslas vierte Gigafabrik weichen mussten. Vor mehr als einem Jahr, mit den ersten Spatenstichen, wurden sie umgesiedelt. "Hier ist ein neues Habitat entstanden", heißt es auch noch auf dem Schild.

Wenige Meter weiter westlich, dort wo Echsen, Schlangen und Ameisenvölker vertrieben wurden, ist jede Menge betriebsamer Lärm zu hören: das laute Fiepen von Baufahrzeugen, wenn sie rückwärts fahren, von Baggern, die Gruben ausheben, von Raupen, die planieren. Statt des mehrere hundert Hektar großen Fichtenwaldes stehen hier nun ziemlich abweisend wirkende Fabrikbauten, Straßen sind verlegt, eine davon wurde nach Tesla benannt. 500 000 Autos wollen die US-Amerikaner hier einmal Jahr für Jahr bauen, und es wäre kaum verwunderlich, wenn die ersten Exemplare in diesem Moment aus einer der Hallen rollten. So fertig wirkt vieles hier.

Elon Musk hatte den Ehrgeiz, seine Fabrik im brandenburgischen Grünheide nicht nur schneller aus dem Boden zu stampfen als andere vergleichbare Projekte in Deutschland. Er wollte sogar schneller sein als er selbst - schneller jedenfalls als der Bau der Gigafabrik in Shanghai. Nach nur anderthalb Jahren Baustellenzeit sollten hier in Grünheide bereits im Juli Autos gefertigt werden. Davon kann nun keine Rede mehr sein. Im Geschäftsbericht schreiben die Amerikaner, das Unternehmen plane mit dem Start der Produktion "spät im Jahr 2021". In der Welt von Elon Musk muss sich das anfühlen wie eine Vollbremsung bei Höchstgeschwindigkeit.

Tesla will nun auch Batterien produzieren

Tesla will nun neben Autos auch Batterien auf dem Gelände am Berliner Autobahnring produzieren. Das Unternehmen hat bereits angekündigt, dafür den bisherigen Bauantrag beim Landesumweltamt Brandenburg zu erweitern. "Der genaue Umfang der vorgesehenen Änderungen" sei der Behörde "noch nicht bekannt", heißt es im Umweltministerium. Schon im Frühjahr kursierten Gerüchte, dass die Amerikaner zusätzlich eine Batteriefabrik mit 1000 Angestellten in Brandenburg aufbauen wollten. Bis zu 250 Gigawattstunden sollten demnach hier einmal in Batterien verpackt werden.

In jedem Fall hat die neue Fabrik erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Tesla-Projekt in Grünheide. "Es ist jedoch davon auszugehen, dass aufgrund dieser Änderungen eine erneute Beteiligung der Öffentlichkeit erforderlich wird", heißt es beim Umweltministerium weiter. Der neue Bauantrag müsste dann noch einmal für mehrere Wochen öffentlich auslegt werden. Sollte auch eine weitere Anhörung der Bürger nötig sein, wird selbst der nun angepeilte Termin Ende 2021 schwer zu halten sein.

Die Grünen, die in Brandenburg auch den Umweltminister stellen, unterstützen das Projekt Tesla grundsätzlich. Aber "es gibt es bei so einer großen Baustelle auch ein mulmiges Gefühl", sagt die Landesvorsitzende der Grünen, Alexandra Pichl. "Vor allem der Umweltschutz und der Arbeitsschutz müssen sehr genau beobachtet werden." Der Umweltschutzverband Nabu geht noch einen Schritt weiter. Sie forderten schon lange eine erneute Auslegung der Unterlagen, sagt Geschäftsführerin Christiane Schröder. "Dieses Verfahren braucht dringend mehr Transparenz."

Elon Musk könnte dabei nun sein Ehrgeiz, der Schnellste sein zu wollen, auf die Füße fallen. Da der Bau der Fabrik bis heute insgesamt nicht genehmigt ist, arbeitet das Unternehmen mit Ausnahmegenehmigungen, zwölf waren es bislang. Das hat zwar gereicht, die Autofabrik zu fast zwei Dritteln fertigzustellen. Doch es geschieht auf eigenes Risiko. Für den eher theoretischen Fall, dass die Fabrik letztendlich nicht genehmigt würde, müsste Tesla die Gebäude wieder abreißen und den Urzustand des Geländes herstellen.

Auf der Baustelle ermitteln Zoll und Landesamt für Arbeitsschutz

Die zahlreichen Ausnahmegenehmigungen, die dem US-Unternehmen gewährt wurden, und ständige Veränderungen an den Bauplänen machen jedoch Beobachter des Projekts zunehmend misstrauisch. Insbesondere die Frage, wie der immense Wasserbedarf der Produktion gedeckt werden soll, ist noch immer nicht vollständig beantwortet. So war es auch kein Wunder, dass die erste öffentliche Anhörung im vergangenen Herbst doppelt so lange dauerte wie geplant. Seitdem ist das Landesamt für Umwelt damit beschäftigt, die 414 Einwendungen und Anträge der Bürger zum Tesla-Projekt abzuarbeiten.

An diesem Dienstag wurde zudem bekannt, dass der Zoll und das Landesamt für Arbeitsschutz auf der Baustelle ermitteln. Dabei geht es um die Vorwürfe des Lohndumpings und fragwürdiger Arbeitsbedingungen. Diese Behauptungen konnten zwar genauso wenig bestätigt werden wie der Vorwurf, Tesla habe über mehrere Monate Abwasserleitungen ohne Genehmigungen verlegt. Sie zeigen jedoch, dass der Bau von Teslas Gigafabrik nicht mehr so geräuschlos weitergehen wird wie bisher.

Aber selbst wenn Tesla erst im Sommer 2022 die Produktion aufnehmen könnte, ein Rekord wäre Elon Musk sicher. Denn so schnell hat in Deutschland vermutlich noch niemand eine Fabrik dieses Ausmaßes gebaut.

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