Süddeutsche Zeitung

Telekom:"Dann hätten wir das auch vom Tisch''

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Richter Christian Dittrich führt den Prozess gegen die Telekom - lässig im Ton und schnell in der Sache.

Markus Zydra

Christian Dittrich blickt auf, die Mundwinkel leicht in die Breite gezogen, die Augen verkniffen. Ein solcher Gesichtsausdruck entsteht, wenn man auf etwas Saures beißt, oder, wie im Fall des Richters auf dem Podium, etwas nicht verstanden hat trotz großer Anstrengung. "Das muss ich jetzt nochmal hören'', sagt er mit einem Kopfschütteln zur Klägerseite. Dittrichs Bitte wirkt berechtigt. Viele der 60 Menschen am Verhandlungsort im Saalbau Bornheim blicken ratlos.

Das liegt daran, dass der Klägeranwalt Andreas Tilp reden kann wie ein Gesetzbuch, was er gerade wieder unter Beweis gestellt hat.

"Das Wort 'gegebenenfalls' muss raus aus dem Antrag, dann stimmts'', erklärt Tilp nochmals verkürzt. "Gut, das Wort 'gegebenenfalls' kommt dann raus'' sagt Dittrich zur Schriftführerin. "Jetzt ham wers aber'', stellt er salopp fest, nicht ohne Güte im Tonfall.

Episoden wie diese erinnern an den Amtsgerichtsrat August Stierhammer aus der Fernsehserie "Königlich Bayerisches Amtsgericht''. Auch Dittrich trägt Sehhilfe, auch er kann wie der Schauspieler Hans Baur streng reden und freundlich dreinschauen, auch er strahlt Autorität aus. Der Vorsitzende Richter des 23.Zivilsenats am Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat den größten Zivilprozess der deutschen Justizgeschichte spürbar im Griff. 17.000 Anleger klagen in 2700 Verfahren gegen die Deutsche Telekom. Dittrich und seine beiden Richterkollegen leiten seit Montag das Musterverfahren eines Klägers, der 1,2 Millionen Euro Schadensersatz fordert. Jeder Richter hat bei der Urteilsfindung eine Stimme. Die Senatsentscheidung des OLG gibt den Rechtsrahmen vor für die anderen Verfahren.

Keine Nervosität, dafür klare Entscheidungen

Die Telekom soll in ihrem Börsenprospekt Fakten unterschlagen haben. Anleger wollen deshalb ihre Kursverluste mit der T-Aktie ersetzt haben. Der Senatsvorsitzende Dittrich steht im Mittelpunkt einer sehr emotionalen Auseinandersetzung. Grund genug, um nervös zu sein. Doch er wirkt nicht so, er kam sogar zu spät zum Prozessauftakt, weil der Regionalzug wegen Schneetreibens und eines umgefallenen Baumes drei Stunden stillstand. Mancher Richter wäre wohl so rechtzeitig angereist, dass auch das allerschlimmste Verspätungsszenario ausgeschlossen wäre.

Dittrich tat es nicht. Der 63-Jährige wirkt abgeklärt. Noch bevor er seine Verspätung erklärte, kritisierte er den Gesetzgeber für das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, auf dessen Grundlage er verhandeln müsse. Es sei ungeeignet.

Christian Dittrich hat nun eine gewisse Prominenz erlangt, ohne dass er etwas dafür kann. Den Prozess leitet er, weil er laut Geschäftsverteilungsliste des OLG Anfang des Jahres einfach dran war. Über ihn persönlich ist jenseits des Alters und der Bestätigung, dass er promoviert hat, nicht viel bekannt. Er gebe auch keine Interviews, heißt es beim OLG. Einzig am ersten Prozesstag nahmen ihn die Fernsehkameras in den Schwitzkasten, und er sprach einen Satz: "Wenn wir die Immobilienfrage behandeln, dann dauert der Prozess viele Jahre.'' Schon einen Tag später löste er das Problem. "Die Immobilienbewertung der Telekom ist rechtens gewesen'', verkündete er der entsetzten Klägerseite am Dienstag ganz locker. Die Immobilienbilanzierung war vom Tisch, der jahrelange Gutachterstreit auch.

Mit dem Mut zum Wesentlichen

Dittrich redet Klartext und kennt sich aus mit Immobilien. Er verhandelt Klagen im Zusammenhang mit den Immobilienfonds der DZBank. "Dittrich folgt seinem gesunden Menschenverstand, er konzentriert sich auf das Wesentliche'', sagt ein Anwalt, der ihn erlebt hat. "Er hat die Kernpunkte des Telekom-Verfahrens herausgearbeitet und gestrafft, das war sehr gute Vorarbeit'', sagt ein Prozessteilnehmer.

Dittrich hat versprochen, die Verhandlung schnell zu Ende zu bringen. Er sei sich bewusst, dass die Kläger Anspruch auf ein zügiges Urteil hätten. 2010 geht er selbst in Pension. Gleichzeitig steht fest, dass eine der beiden Streitparteien vor den Bundesgerichtshof ziehen wird. Dittrichs Entscheidung sollte dort standhalten, das ergibt sich aus dem Selbstverständnis jedes Richters.

Dennoch hat Dittrich Mut zur Lücke. 187 Streitfragen gibt es, der Richter fasste an den ersten Tagen Punkt für Punkt zusammen. Er will die Kernfragen herausarbeiten. Sein Tempo löst keine Hektik aus. Er arbeitet geduldig ab, was kommt:

Ob es denn verwandtschaftliche Beziehungen gebe seitens der Richter zu einem der 17.000 Kläger gegen die Telekom, wollte ein beigeladener Anwalt wissen. Dittrich schaute seine Senatskollegen an, die sofort den Kopf schüttelten: "Selbst die dritte Seitenlinie unserer Familien ist unseres Wissens nach nicht verschwägert mit einem Telekom-Kläger'', sagte er mit einem hüstelnden Räuspern. "Dann hätten wir das auch vom Tisch.''

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SZ vom 10.04.2008/sme/jkr
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