Süddeutsche Zeitung

Studie:Firmen brauchen Einwanderung

Lesezeit: 2 min

Eine Studie beziffert den Bedarf der Wirtschaft auf 260 000 Migranten im Jahr.

Von Alexander Hagelüken, München

In Deutschland fehlen in den nächsten Jahrzehnten bis zu 16 Millionen Arbeitskräfte. Damit die Wirtschaft nicht einbricht, braucht das Land laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung bis 2060 jährlich mindestens 260 000 Einwanderer. Weil der Zustrom aus der EU abnehmen dürfte, muss mehr als die Hälfte der zusätzlichen Arbeitnehmer von außerhalb Europas kommen. "Heute wandern noch viel zu wenig Fachkräfte aus Drittstaaten nach Deutschland ein", so Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Derzeit gibt es knapp 45 Millionen Arbeitsplätze in der Bundesrepublik, doch die Bevölkerung altert und schrumpft. Die Forscher kalkulieren, wie viel Zuwanderung nötig ist, damit Unternehmen in den nächsten Dekaden ihre Nachfrage nach Arbeitskräften auf einem Minimalniveau decken können, also unter der heutigen Zahl von Stellen. Dabei ist schon unterstellt, dass die Geburtenrate steigt und mehr Frauen und Ältere arbeiten als heute. Dadurch alleine finden die Unternehmen allerdings nicht genug Mitarbeiter. Selbst wenn Frauen genauso viel arbeiten würden wie Männer und das Rentenalter auf 70 Jahre erhöht würde, ließe sich der zusätzliche Bedarf nur zu einem Viertel decken.

Zukünftig werden weniger EU-Bürger einwandern. Denn die südlichen Länder haben ihre Wirtschaftskrise überwunden. Außerdem gleicht sich der Rest Europas Deutschland langfristig wirtschaftlich an: Der Anreiz zur Migration nimmt ab. Und der demografische Wandel macht sich auch anderswo in Europa bemerkbar. Daher kommen in den nächsten Dekaden bis 2060 im Schnitt nur 114 000 EU-Zuwanderer pro Jahr, erwarten die Forscher. 2017 waren es noch 250 000. Entsprechend mehr müssten von außerhalb Europas kommen, im Durchschnitt knapp 150 000 pro Jahr. 2017 kamen abzüglich der Abwanderer nur knapp 40 000 Fachkräfte aus Drittstaaten.

"Auf die Zuwanderung aus der EU kann sich Deutschland nicht alleine verlassen."

"Das Arbeitskräfteangebot wird bald deutlich zurückgehen", bewertet Matthias Mayer die Berechnungen, die unter anderem das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für die Stiftung anstellte. "Auf die Zuwanderung aus der EU kann sich Deutschland nicht alleine verlassen." Das von der Bundesregierung geplante Einwanderungsgesetz dürfe nicht weiter verwässert werden, dann sei es ein Baustein, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen. Zumal es sich auch an Menschen mit mittlerer Qualifikation richte. Allerdings reiche ein Gesetz nicht aus. "Wichtig ist, dass Deutschland ein Land ist, das Vielfalt positiv sieht und offen für Menschen von außen ist. Wichtig ist auch, dass die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt verbessert und die einheimische Bevölkerung bei der Migration mitgenommen wird." Mayer betonte, die Studie stelle Zuwanderung nicht als das Allheilmittel für den Arbeitsmarkt heraus. "Notwendig sind auch Maßnahmen, um inländische Personengruppen wie Frauen und Ältere stärker in den Arbeitsmarkt zu bringen oder die Abbrecherquoten bei Ausbildungen zu reduzieren."

Die Digitalisierung wird der Studie zufolge den Arbeitskräftebedarf nicht relevant reduzieren. Ein zunehmend digitalisierter Arbeitsmarkt erfordere nicht weniger Arbeitskräfte, sondern mehr. Weil immer mehr Deutsche Hochschulabschlüsse anstreben und gleichzeitig in den nächsten Jahren viele Bürger mit Ausbildungen in den Ruhestand gehen, wird es auch bei mittleren Qualifikationen zu Engpässen kommen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4326729
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.02.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.