Süddeutsche Zeitung

Steuerschätzung 2014:Das Geld ist längst weg

Rund 640 Milliarden an Steuergeldern erwartet der Staat dieses Jahr. Doch Mehreinnahmen sind zum Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens meist schon ausgegeben, zumindest gedanklich. Steuersenkungen sind deshalb nicht die Lösung. Stattdessen sollte die Politik mittelfristig eine Steuerreform angehen, die diesen Namen verdient.

Ein Kommentar von Claus Hulverscheidt

Im Grunde genommen ist so eine Steuerschätzung ein ziemlicher Anachronismus: Sie verspricht Planungssicherheit - und bewirkt oft das Gegenteil. Wenn nämlich die Auguren, wie jetzt wieder geschehen, Mehr- oder Mindererlöse in zweistelliger Milliardenhöhe vorhersagen, dann bedeutet das ja nichts anderes, als dass sie bei der letzten Prognose ein ganzes Stück danebengelegen haben.

Hinzu kommt, dass Bund und Länder meist im Voraus wissen, wohin die Reise in etwa gehen wird. Mehreinnahmen sind deshalb zum Zeitpunkt ihres offiziellen Bekanntwerdens oft schon wieder ausgegeben, zumindest gedanklich.

So auch diesmal: Das Sechs-Milliarden-Plus für den Bund reicht kaum, um längst geplante Projekte zu realisieren. Zuallererst sollte das Geld in Infrastrukturinvestitionen fließen - hier hat Deutschland den größten Nachholbedarf.

Eine Steuersenkung im Miniformat hilft dagegen keinem. Stattdessen sollte die Politik ihr Pulver trocken halten, um mittelfristig eine Steuerreform angehen zu können, die diesen Namen verdient und die über das aktuelle Streitthema kalte Progression hinaus alle strukturellen Mängel des Systems angeht: die hohe Belastung von Durchschnittsverdienern etwa, die Bevorzugung von Kapital- gegenüber Arbeitseinkommen und vieles mehr. Die Milliarden, die die Steuerschätzer avisieren, gehören nämlich nicht den Finanzministern. Sie gehören den Bürgern.

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Quelle:
SZ vom 09.05.2014
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