Süddeutsche Zeitung

Studie:Warum immer mehr Migranten gründen

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In Deutschland gibt es immer mehr Selbständige mit Einwanderergeschichte. Das Klischee, dass sie vor allem Gemüseläden und Dönerbuden betreiben, ist hingegen längst überholt.

Von Alexander Hagelüken, München

Eine Firma zu gründen, ist in Deutschland wenig populär. Die meisten Bürger elektrisiert weder ein Laden um die Ecke noch eine Erfolgsstory wie die von Dietmar Hopp, der durch SAP zum Multimilliardär wurde. Bei einer gesellschaftlichen Gruppe aber scheint das etwas anders zu sein. Die Zahl der Selbständigen mit Migrationshintergrund hat sich seit 2005 um ein Drittel erhöht - auf fast 800 000. In diesen Firmen gibt es inzwischen 2,3 Millionen Arbeitsplätze, um die Hälfte mehr als damals. Das geht aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

In der übrigen Bevölkerung lässt sich ein deutlich negativer Trend erkennen. 2018 gab es fast 300 000 Selbständige weniger als Mitte der Nullerjahre. Das hat damit zu tun, dass die Einwohnerzahl schrumpft und der Arbeitsmarkt lange boomte: Sobald eine Festanstellung winkt, hört mancher als freier Essensauslieferer auf oder schließt sein vielleicht umsatzschwaches Nagelstudio. Die Entwicklung lässt sich aber auch damit erklären, dass die Deutschen weniger gern gründen als andere Nationen, sagt Armando García Schmidt von Bertelsmann: "Risiko gilt als gefährlich."

Ein anderes Kalkül haben viele Bürger mit Migrationshintergrund. Dazu zählen alle, die selbst eingewandert sind oder bei denen zumindest ein Elternteil im Ausland geboren wurde. Mancher kommt aus einer Heimat mit mehr Gründerfaible. Anderen wird die zu Hause erworbene Qualifikation nicht anerkannt und von deutschen Firmen kein Job offeriert - oder nur einer mit wenig Gehalt und Aufstiegschancen. Da erscheint es attraktiver, sich selbständig zu machen.

Dass es nun 200 000 mehr Unternehmer mit Einwanderergeschichte gibt als Mitte der Nullerjahre, liegt daran, dass ihre Bevölkerungszahl stark zugenommen hat. Auch bei ihnen ist die Unternehmerquote nicht sehr hoch. Aber sie bremsen den allgemeinen Rückgang an Selbständigen. Das ist bemerkenswert, weil Bürger mit Einwanderergeschichte oft vor höheren Hürden stehen, eine Firma zu starten. Das fängt bei fehlenden Sprachkenntnissen und im Schnitt geringeren Bildungsabschlüssen an und hört dabei auf, dass sie schwerer an Kapital kommen.

Überholt ist das Klischee, das selbstständige Migranten vor allem Gemüseläden und Dönerbuden betreiben

Wenn sie sich selbständig machen, erfüllen sie eine wichtige volkswirtschaftliche Funktion, findet García Schmidt von der Bertelsmann-Stiftung: "Selbständigkeit ist ein Treiber für höheres Einkommen und Wohlstand." Wer selbst eine Firma hat, verdient im Schnitt monatlich 2500 Euro netto, die Hälfte mehr als Angestellte mit Einwanderergeschichte. Sie bremsen auch die Überalterung der Selbständigen, die die Unternehmerquote noch mehr reduzieren könnte. Während das Durchschnittsalter der ausschließlich deutschen Selbständigen seit 2005 von 46 auf 51 Jahre stieg, blieb es bei den Migranten bei 40.

Überholt ist das Klischee, dass sie vor allem Gemüseläden und Dönerbuden betreiben. Während sich 2005 noch 38 Prozent der migrantischen Unternehmer in Handel und Gastgewerbe tummelten, waren es 2018 nur noch 25 Prozent. Mehr und mehr führen sie Baufirmen, Dienstleister - oder innovative Firmen, wie das Beispiel der Ärzte Özlem Türeci und Ugur Sahin mit ihrer Impfstofffirma Biontech zeigt.

Ihre Selbständigenquote ließe sich von knapp zehn auf 15 Prozent steigern, rechnet die Studie vor: Wenn der Staat bessere Förderungen anbieten oder mehr von ihnen zu höheren Bildungsabschlüssen ermutigen würde. Darüber lässt sich bald reden: Am Montag lädt Bundeskanzlerin Angela Merkel zum nächsten Integrationsgipfel ein.

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