Süddeutsche Zeitung

Metropolen:Macht endlich Tempo beim Wohnungsbau!

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Die Mittel sind da, um den Anstieg der Immobilienpreise zu bremsen. Aber sie müssen auch genutzt werden. Wenn die Abgehängten Brandsätze werfen, ist es zu spät.

Kommentar von Joachim Käppner

Zum ersten Mal seit Entstehen der Straße waren die Menschen, die in ihr lebten, reich. Ihr Reichtum ergab sich einfach dadurch, dass sie in der Pepys Road wohnten. Sie waren reich, weil wie durch ein Wunder alle Häuser in der Straße Millionen Pfund wert waren." So steht es in John Lanchesters großartigem Roman "Kapital" von 2012 über eine Londoner Straße, in der einst Angehörige der unteren Mittelschicht gelebt hatten. Die einfachen Altbauten haben Krieg und Krisen überstanden und werden plötzlich Symbole einer Großstadt, in der das gesellschaftliche Gleichgewicht zerbrochen ist: Wohnraum, errichtet für Menschen, die sich nichts Besseres leisten konnten, ist nur noch erschwinglich für Besser-, ja Bestverdienende. Vor diesem Hintergrund spielt sich auch die deutsche Debatte um Wohnungsbau und Mietpreisbremse in den Ballungszentren ab.

Das Wohnen in großen Teilen von London, Paris, New York ist nicht nur für Arme, sondern auch für Durchschnittsverdiener fast unbezahlbar geworden. Angestellte, Facharbeiter, Krankenschwestern, Polizeibeamte und ihre Familien finden auch in München oder Hamburg immer schwerer eine Bleibe, die sie sich leisten können; die Ankunft von Hunderttausenden Flüchtlingen macht das Problem noch größer. Was aber ist nun zu tun?

Manche Ökonomen sagen: eigentlich nichts. Der Markt werde es schon richten. Das aber kann nicht die Antwort sein, wenn der Markt die Dinge nur zu Lasten immer breiterer Bevölkerungsschichten richtet. In Lanchesters Roman wird der Verdrängungsprozess hübsch illustriert, als sogar jene, die in "der Straße von Gewinnern" leben, plötzlich beunruhigende anonyme Post erhalten: "Wir wollen, was ihr habt."

Es gilt das Recht des Stärkeren

Die Boomtown München wird wohl alle vier Jahre um 100 000 Einwohner wachsen, der Wohnungsbau aber in keiner Weise Schritt halten. Wo Nachfrage und Angebot dermaßen aus dem Lot geraten, wird Wohnen zum Luxus und staatliches Eingreifen zum Gebot der Stunde. Der rasche Anstieg der Mieten und Grundstückspreise vernichtet bezahlbaren Wohnraum in einer Geschwindigkeit, die eine Generation zuvor unvorstellbar war. Zahlungskräftigere Bewohner rücken nach, es gilt das Recht des Stärkeren. Wir wollen, was ihr habt: Im wahren Leben von München, Frankfurt oder Hamburg ist genau das die Perspektive von ganz normalen Familien, die für vier oder fünf Zimmer monatlich nicht 1850 Euro zuzüglich Nebenkosten lockerhaben.

Natürlich kann und soll der Staat Investoren nicht einfach dirigieren. Das Auseinanderdriften der Stadtgesellschaften lässt sich nicht per Vorschrift verhindern, und niemand sollte hier falsche Versprechungen machen. Was immer der Staat versucht, es wird in München nicht möglich sein, Wohnungen so preiswert anzubieten wie in Görlitz oder Recklinghausen. Aber eine kluge Steuerungspolitik könnte viele Hebel in Gang setzen, um die Lage zumindest zu stabilisieren.

Kommunen wie München, die ihren eigenen Wohnungsbestand nicht in den Zeiten neoliberaler Heilslehren verscherbelten, haben Gestaltungsspielräume bewahrt, die anderen nun bitter fehlen. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) will die private Wohnungswirtschaft zu Recht verpflichten, einen höheren Anteil an gefördertem Wohnraum bereitzustellen und sie zudem intensiver an den Kosten der wachsenden Stadt für Straßen oder Kitas beteiligen. Auch die viel geschmähte Mietpreisbremse gehört in diesen Werkzeugkasten, sie ist ja kein sinistres Instrument der Umverteilung, sondern soll übler Preistreiberei vorbeugen.

Es braucht mehr Anreize - für die Investoren muss es sich auch rechnen

Umgekehrt müssten Kommunen und der Gesetzgeber den Investoren entgegenkommen, durch Abbau der unzähligen Vorschriften etwa oder durch großzügiges Überlassen von Bauland. Für die Investoren muss sich die Sache am Ende ja rechnen. Warum soll ein Bauherr, der mehr sozialgebundene Wohnungen errichtet, nicht mehr Stockwerke bauen dürfen als jemand, der das nicht tut? Es fehlt weniger an Mitteln als am Bewusstsein für die Dringlichkeit, sie auch zu nutzen, es geht um nicht weniger als eine große gesellschaftliche Kraftanstrengung.

Die Zeit, als Kommunen und sogar Gewerkschaften eigene Arbeitersiedlungen und Trabantenstädte errichteten, mag vorüber sein. Nötig ist nicht der Staat als Bauherr, sondern eine Politik, welche durch Anreize und Förderung im Bauwesen mehr soziale Verantwortung durchsetzt. Noch ist Zeit dafür, noch gibt es kaum Banlieues wie in Frankreich, noch keine verwahrlosten Inner Citys wie in England. Wenn, wie dort, die Abgehängten und Verdrängten erst Brandsätze werfen und sich mit Gewalt holen wollen, was die anderen haben, dann ist es zu spät.

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Quelle:
SZ vom 08.09.2016
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