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Staat: Steuereinnahmen:Angst vor dem Milliarden-Ausfall

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Und wieder profitieren die Firmen: Weil sie alte Verluste mit neuen Gewinnen verrechnen können, fehlen Bund und Ländern womöglich 180 Milliarden Euro. Finanzminister Schäuble kennt das Problem - weiß aber keine Lösung.

Claus Hulverscheidt

Bund, Ländern und Gemeinden drohen in den kommenden Jahren Steuerausfälle in dreistelliger Milliardenhöhe. Das ergibt sich aus einer Aufstellung des Bundesfinanzministeriums, die am Mittwoch bekannt wurde. Schuld sind sogenannte Verlustvorträge von Unternehmen. Die Koalition sucht nun nach Wegen, diese zu beschränken.

Hinter dem Fachbegriff verbergen sich Verluste der Firmen und ihrer Eigentümer aus der Vergangenheit, die noch auf Jahre hinaus mit aktuellen Gewinnen verrechnet werden dürfen. Das bedeutet, dass viele Betriebe selbst dann kaum werden Steuern zahlen müssen, wenn sie wieder hohe Überschüsse erwirtschaften. Den Finanzministern und Kämmerern des Landes ist das Problem schon länger bekannt, konkrete Zahlen wurden aber seit Jahren nicht mehr genannt.

In einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsabgeordneten Barbara Höll (Die Linke) heißt es nun, dass die Unternehmen bei der Gewerbesteuer noch 569 Milliarden, bei der Körperschaftsteuer noch 506 Milliarden und bei der Einkommensteuer noch 61 Milliarden Euro an Verlusten steuerlich geltend machen könnten. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2004, weil neuere wegen der langen Zeiträume bis zum Abschluss von Betriebsprüfungen nicht vorliegen.

Die Situation dürfte sich seither aber kaum verbessert, sondern wegen der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise eher noch spürbar verschlechtert haben. Könnten sämtliche Verluste beispielsweise bei der Körperschaftsteuer ohne Einschränkungen geltend gemacht werden, müssten Bund und Länder rein rechnerisch allein in diesem Bereich sechs Jahre lang auf alle Einnahmen verzichten.

Ein solches Horrorszenario für den Staatshaushalt wird derzeit noch durch die sogenannte Mindestbesteuerung verhindert, die dafür sorgt, dass Firmen den Gewinn eines Jahres nicht mit Hilfe von Verlustvorträgen auf Null drücken können. Selbst in der Regierung wird aber eingeräumt, dass die Klausel zu einem Fall für das Bundesverfassungsgericht werden könnte. Vor dem Bundesfinanzhof gab es bereits entsprechende Klagen.

Beschränkung der Verrechenbarkeit?

Rechnet man die jetzt bekannt gewordenen Zahlen zusammen, so ergibt sich rein mathematisch ein möglicher Einnahmeausfall für den Staat von etwa 180 Milliarden Euro. Dabei werden allerdings Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Steuerarten nicht berücksichtigt. So können beispielsweise die Eigentümer von Personengesellschaften ihre Gewerbesteuerzahlungen von der Einkommensteuerschuld abziehen, was auch Rückwirkungen auf mögliche Verlustvorträge hat. In der Praxis dürften die Einnahmeausfälle daher niedriger ausfallen.

Das gilt umso mehr, als in der Politik bereits nach Auswegen aus der Misere gesucht wird. So ist beispielsweise im Gespräch, die Verrechenbarkeit von Verlusten auf fünf oder sieben Jahre zu beschränken und mögliche dann noch bestehende Restvorträge verfallen zu lassen. Eine solche Regelung würde allerdings die Altfälle nicht lösen und überdies eine Flut neuer Klagen provozieren.

Dann noch eine gute Nachricht

Das Bundesfinanzministerium hat nach Angaben einer Sprecherin noch keine Lösung für das Problem, auf das Ressortchef Wolfgang Schäuble (CDU) intern schon wiederholt hingewiesen hat. Auch bei den Beratungen über eine Reform der Gemeindefinanzen kam das Thema bereits zur Sprache, weil den Kommunen das Gros der Gewerbesteuereinnahmen sowie ein Teil des Einkommensteueraufkommens zusteht und sie von Ausfällen deshalb besonders hart betroffen wären.

Die Ministeriumssprecherin sagte, ob und inwieweit sich steuerliche Mindereinnahmen ergäben, sei "sowohl abhängig von der künftigen Rechtsprechung als auch von möglichen zukünftigen Maßnahmen des Gesetzgebers". Sie verwies darauf, dass CDU, CSU und FDP bereits in ihrem Koalitionsvertrag "eine umfassende Neustrukturierung der Regelungen zur Verlustverrechnung" angekündigt hätten.

Immerhin: Es gab am Mittwoch auch eine gute Nachricht für viele Haushaltspolitiker des Landes. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts fiel das Defizit im Staatsetat in den ersten neun Monaten des ablaufenden Jahres um 12,6 Milliarden Euro geringer aus als im Vorjahreszeitraum. Grund sei vor allem ein geringeres Defizit der gesetzlichen Sozialversicherung gewesen. Dagegen stieg der Fehlbetrag des Bundes an.

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Quelle:
SZ vom 30.12.2010
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