Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Silicon Beach:Du darfst nicht rein

Lesezeit: 3 min

Über soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Youtube wird zur Zeit noch intensiver gestritten als sonst. Es gibt nun neue Plattformen wie Parler und Clubhouse, die auf Exklusivität setzen, ganz wie in der analogen Welt.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Der einfachste Weg, in einen exklusiven Club aufgenommen zu werden, das war schon immer so: Man muss so tun, als würde man keinesfalls Mitglied sein wollen. So gesehen ist das, was dieser Teenager auf Twitter macht, recht clever: Er hat eine Einladung zur Social-Media-Seite Clubhouse bekommen, die nun auch in Deutschland verfügbar ist, doch will er sie keinesfalls annehmen, sondern für 250 Euro verkaufen. Schon möglich, dass jemand zahlt, denn umgekehrt ist nicht erst seit dem Berghain in Berlin oder dem P1 in München bekannt: Die Leute wollen dann umso mehr in einen Club, je schwieriger es ist, hineinzukommen.

Es wird ja gerade heftig debattiert über soziale Medien. Die einen interpretieren die Verbannung Donald Trumps von Plattformen wie Facebook, Twitter und Youtube als Zensur und jeden Eingriff in die Verfügbarkeit von Netzwerken wie Parler als Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Andere sind fest davon überzeugt, dass mit dem Hype um diese sozialen Netzwerke das Ende des Abendlandes nicht erst bevorsteht, sondern längst vollzogen ist.

Es passiert nun, was bei solchen Debatten in der Technikbranche immer passiert: Es gibt Alternativen, die auf die Bedürfnisse der Unzufriedenen abzielen - mit einem Unterschied. Das Mantra war bisher stets Wachstum. Und das funktioniert am besten, wenn jeder mitmachen darf, also über Inklusion. Das neue Zauberwort ist aber Exklusivität.

Clubhouse ist ein bisschen wie ein Country Club, nur digital

So eine Verknappung des Angebots ist freilich nicht neu, sie ist aus der analogen Welt bekannt. In den USA gibt es die sogenannten Country Clubs, denen nur beitreten darf, wer viel Geld und genügend einflussreiche Freunde hat. Im Soho House werden Kreative gesucht, die Silicon Beach Surfers wollen ein Netzwerk für sportliche Firmengründer und Investoren sein.

Mal ehrlich: Es gibt doch digital kaum was Neues, zu dem es nicht ein Äquivalent im Analogen gibt. Instagram ist ein Schöne-Leute-Festival wie Coachella, Tiktok ist die Dorfdisco, wo alle zu alten Songs die Tänze der anderen nachahmen, und Parler ist die Eckkneipe, in der sich alle, denen sonst keiner zuhört, mal so richtig auskotzen können.

Und Clubhouse ist nun der neue Club der coolen Leute. In den USA gibt es die App seit April. Rein kommt man nur über persönliche Empfehlung eines Mitglieds. Wer drinnen ist, kann eigene Räume eröffnen oder andere betreten, also wirklich ein bisschen wie im Soho House. Es gibt keine Videofunktion, nur Audio, und jeder darf mitreden, ohne Einschränkung. Man hofft, mit Rapper Drake zu plaudern, der Entertainment-Heiligen Oprah Winfrey zuzuhören oder Investor Josh Felser eine Idee zu präsentieren. Der sagte im Mai, als das Unternehmen durch eine Finanzierungsrunde mit Risikokapitalgeber Andreessen Horowitz mit 100 Millionen Dollar bewertet wurde: "Entweder ist es im Juli tot - oder es wird groß."

Der reiche und mächtige Mainstream klopft an, und das wird zum Problem

Nun, es wurde groß, und das lag am großen Versprechen: Alles, was bei Clubhouse passiert, bleibt auch bei Clubhouse. Die alte Las-Vegas-Regel funktioniert freilich nur, wenn der Mythos dadurch verstärkt wird, dass doch ein paar Leute ausplaudern, wie cool das alles ist. Nur das führt zu Neugierde und zum Verlangen, selbst dabei zu sein; wenn man erfährt, dass ein anderer Freundschaften schließt, Geschäftsbeziehungen knüpft und interessante Abende verbringt, während man selbst draußen steht. Es wollen nun also immer mehr rein; vor allem jene, die sowieso überall reinkommen. Der reiche und mächtige Mainstream klopft an, und das wird zum Problem, das natürlich auch Coachella, P1 und Soho House kennen: Welcher Club auf dieser Welt gilt als en vogue, in dem FDP-Chef Christian Lindner (trat vergangene Woche bei) Mitglied ist?

Schlimmer noch: Irgendwann greift der Nebensatz der Las-Vegas-Regel: Was dort passiert, bleibt dort - außer Herpes. Es heißt, dass man bei Clubhouse unbeschwert plaudern dürfe und dass keiner davon erfahre. Nutzer berichten allerdings von rassistischen, homophoben, misogynen und antisemitischen Gesprächsrunden, gegen die Gründer Paul Davison und Rohan Seth mit Verweis auf Free Speech bewusst nicht vorgehen. Entertainerin Toni Tones berichtet, kurioserweise bei Twitter, dass der afroamerikanische Schauspieler Kevin Hart behauptet habe, dass sich Schwarze doch nur gegenseitig runterziehen würden, Rapper Ed Lover soll im gleichen Raum gesagt haben: "Weiße nehmen dich von ganzem Herzen an, Schwarze scheißen auf dich."

Zwischenfrage: Wenn bei Clubhouse einflussreiche Leute ihre teils kruden Weltanschauungen verbreiten und Möchtegerns wie Julian F. M. Stoeckel dort über das Dschungelcamp reden, wo ist dann - bis auf Audio statt Text - der Unterschied zu Twitter? Zumal es bereits die App Discord gibt, auf der vor allem Teenager unterwegs sind und sich gegenseitig teils wüst beleidigen. Sie wird mittlerweile mit 3,5 Milliarden Dollar bewertet.

Ob der Hype um Clubhouse gerechtfertigt ist, wird sich noch zeigen. Die Plattform macht jedoch einige Trends sichtbar. Die Techbranche sucht nach neuen Formen der Kommunikation (derzeit: Audio statt Text) und Netzwerken (exklusiv statt inklusiv) sowie nach Lösungen im Umgang mit dem, was die Leute bisweilen so aus ihrem Mund plumpsen lassen oder in die Tastatur hacken, und sie will das nächste große Ding kreieren. Auf Clubhouse ist bereits zu lesen, dass es letztlich eine Plattform für möglichst viele sein soll.

Es dürften noch einige solcher Plattformen entstehen, und es ist nicht nötig, überall dabei sein zu wollen; wie Groucho Marx schon weit vor Erfindung des Internets sagte: "Ich weigere mich, einem Club beizutreten, der mich als Mitglied haben will."

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