Süddeutsche Zeitung

Solarenergie:Der den Strom bringt

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Mehr als 600 Millionen Menschen in Afrika leben noch immer ohne Anschluss an ein Stromnetz. Das hemmt jede wirtschaftliche Entwicklung. Ein Teil der Lösung sind mobile Solarkraftwerke - die liefern nicht nur Energie.

Von Jan Willmroth

Torsten Schreiber wird nie vergessen, wie er im Sommer vor zwei Jahren zum ersten Mal das Dieselkraftwerk in Bamako betrat: Nur müde 20 Megawatt Leistung, Sechzigerjahre-Standard, eine Anlage aus der Kolonialzeit. 170 000 Liter Diesel verbrennt dieses Ungetüm jeden Tag, neun Sattelzüge voll. Der Generator liefert ein Zehntel des Stroms für die Hauptstadt Malis. Nur wenige Prozent der Energie werden zu Strom, der Rest verfliegt als Wärme, in einem Land, in dem fast immer die Sonne scheint, bei bis zu 50 Grad im Schatten. Ein Irrwitz, aber in vielen Ländern Afrikas nicht ungewöhnlich.

"Ich dachte damals: Entweder werde ich Energieminister von Mali", sagt Torsten Schreiber, 44, "oder ich muss etwas tun."

Er tat etwas. Gemeinsam mit seiner in Mali aufgewachsenen Frau Aida gründete er 2015 das Unternehmen Africa Greentec. Er baute ein Netzwerk aus Partnern auf, sprach mit den Menschen der Region, mit Ministern, mit dem Präsidenten. Seit Ende Mai steht im 5000-Einwohner-Dorf Mourdiah, 280 Kilometer von Bamako entfernt, ein grün-gelb-roter Container: Schreibers Pilotprojekt. Es ist ein Frachtcontainer im Standard-Format, darin sind Solarmodule verbaut und Batterien für die Stromversorgung in der Nacht. Früher ratterte in der Gemeinde ein kleiner Dieselgenerator, der zwischen 18 Uhr und 22 Uhr Strom produzierte, solange es Treibstoff gab. Jetzt versorgt ein mobiles Solarkraftwerk mehr als 1000 Menschen rund um die Uhr und das für etwa die Hälfte des Preises.

Ohne elektrische Energie gibt es keine wirtschaftliche Entwicklung. In vielen Telen Afrikas aber ist Strom noch immer selten. Mehr als 600 Millionen Menschen auf dem Kontinent leben ohne Anschluss an ein Stromnetz, die meisten südlich der Sahara und weit weg von den Metropolen mit ihren größeren Kraftwerken. Wenn es dunkel wird, laufen alte Dieselgeneratoren, der Strom ist teuer, die Luft verpestet.

Wenn Schulkinder am Abend lernen, vergiften Kerosinlampen ihre Atemwege. Krankenstationen können ihre Medikamente nicht kühlen; viele Mütter sterben, wenn sie zufällig am Abend oder in der Nacht ihre Kinder gebären. Getreidemühlen laufen nur wenige Stunden am Tag, solange es Sprit und Strom gibt. Selbst dort, wo Netze vorhanden sind, ist die Versorgung oft unterbrochen, der Netzausbau hält mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt. Wer keinen Strom hat, ist in der Regel arm und hat kaum eine Chance, das zu ändern.

Viele Jahrzehnte dachte man, die Netze in Ländern wie Mali müssten so aussehen wie in der industrialisierten Welt. Große, zentrale Kraftwerke, Leitungen über Tausende Kilometer. Kleine Umspannwerke, die den Strom in ländlichen Regionen verteilen. Dafür braucht man Investoren, die Milliarden ausgeben, bevor der Strom in den Häusern ankommt, man braucht genügend Kunden, die dauerhaft Strom beziehen wollen und bezahlen können. Weil es an beidem fehlt, wissen Millionen Afrikaner bis heute nicht, dass auch ohne brummende Generatoren Lichter leuchten können. Christoph Kannengießer, Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der Deutschen Wirtschaft, ist von Projekten wie Africa Greentec überzeugt. "Solche Off-Grid-Modelle werden ein Teil der Lösung sein: Der Strom wird dort produziert, wo er auch verbraucht wird", sagt er. Off-Grid, ohne Netz, wie bisher. Nur sauberer, günstiger und vor allem: zuverlässig.

Entwicklungshilfe war gestern, heute ist Business

Kaum war das Pilotkraftwerk in Mourdiah angeschlossen, häuften sich die Anfragen bei Schreiber. Vier weitere Projekte in Mali hat er finanziert, bis Ende des Jahres sollen an fünf Standorten Kompakt-Kraftwerke stehen. Mit ihnen bringt er jeweils mehr als nur Strom in den Flächenstaat: Mit dabei sind LED-Lampen, die wenig Energie verbrauchen; seine nächsten Container sollen mit Wasser-Reinigungsanlagen und Internetverbindungen ausgestattet werden. In Kooperation mit der Initiative Labdoo versorgt Schreiber örtliche Schulen mit alten, aufbereiteten Laptops, 20 bis 40 Stück pro Standort. "Mir geht es gar nicht in erster Linie um den unternehmerischen Erfolg", sagt er, "ich will sehen, wie sich das Leben der Menschen verändert." Worte eines Sozialunternehmers, der das Geschäft mit einem philanthropischen Anspruch verbindet. Entwicklungshilfe war gestern, heute ist Business.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich das Projekt irgendwann von allein trägt. Ein Schwesterunternehmen von Africa Greentec installiert künftig die Kraftwerke, schult Mitarbeiter und verkauft den Strom direkt an die Dorfbewohner. Die zahlen eine Grundgebühr und umgerechnet 19 Euro-Cent pro Kilowattstunde am Tag, in den Abendstunden 38 Cent, der Batterie-Strom ist teurer. Der Diesel-Strom dagegen ist immer knapp und kostet etwa einen Euro pro Kilowattstunde.

Von Beginn an kam Schreiber ohne Entwicklungsgelder aus. Eine Million Euro Eigenkapital hat er bislang investiert und davon mehrere Hunderttausend Euro über Crowdfunding auf der Online-Plattform Bettervest eingeworben, die er 2012 mit gegründet hatte. Noch in diesem Jahr will er eine Tilgungsanleihe über zehn Millionen Euro für die Projekte in Mali begeben. In einem Jahr sollen 50 Kraftwerke in dem Land stehen. In Niger, auf Madagaskar, in der Demokratischen Republik Kongo, in Senegal, Burkina Faso, Nigeria, Ghana und Togo plant Schreiber mit seinen derzeit 35 Mitarbeitern weitere Projekte.

Dabei war am Anfang das Misstrauen groß. Nun, kaum steht das erste Kraftwerk, kann es den Regierungen und Dörfern nicht schnell genug gehen. Auf Menschen, die Strom seit 60 Jahren als etwas Unbeständiges kennen, das es nur gibt, wenn man Diesel verfeuert, wirkt ein Solarkraftwerk im Container wie ein Raumschiff. Jetzt, viel Überzeugungsarbeit später, fließt in Mourdiah der Sonnenstrom, die Bewohner sparen Geld, sie können Kühlschränke betreiben und Ernten einlagern, es gehen mehr Kinder zur Schule. Und eine junge Firma, die in Deutschland Solarcontainer produziert, wird damit vielleicht irgendwann Geld verdienen.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2016
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