Süddeutsche Zeitung

Provisionen:Wie Schweizer Banken ihre Kunden um Milliarden prellen

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Von Uwe Ritzer, Zürich

Ein kurzer Spaziergang über die Internetseiten der Schweizer Großbanken und man ist mittendrin im Floskelwald. Ein "tragender Pfeiler" der eigenen Geschäftspolitik sei "Nachhaltigkeit", heißt es bei der UBS. Wer den Begriff auf der Homepage der Credit Suisse eingibt, landet satte 539 Treffer. Bei Julius Bär ist als ein "Kernwert" allen Handelns definiert: "Im Zentrum unserer Geschäftsaktivitäten stehen die Interessen unserer Kunden." Aber nicht nur die großen Geldhäuser, sondern auch Kantonal- und Kleinbanken in der Schweiz buhlen um Anleger mit den Versprechen, mit ihnen und ihrem Geld besonders verantwortungsvoll, seriös und nachhaltig umzugehen.

Einer, der die andere Seite kennt, ist Hubert Schwärzler. Liti-Link heißt das Unternehmen, mit dem der Liechtensteiner eine schmutzige Ecke des Schweizer Bankensystems auszukehren versucht. Dort, wo eidgenössische Geldhäuser auf Milliarden sitzen, die nicht ihnen, sondern ihren Kunden gehören. Es geht um sogenannte Retrozessionen. Das sind hauptsächlich Vermittlungsprovisionen und Kickback-Zahlungen von Finanzanbietern wie Fondsgesellschaften, die Banken hinter dem Rücken ihrer Kunden und oft ohne deren Wissen seit Jahrzehnten kassieren. "Retrozessionen sind nicht nur bei Umschichtungen von Vermögen entstanden, sondern häufig auch durch jährlich anfallende Provisionen und Rabattierungen, etwa bei Aktiengeschäften", sagt Schwärzler. "Teilweise gab es da irre Auswüchse, etwa wenn Wertpapierhändler ein und dieselbe Aktie mehrmals am Tag gekauft und verkauft und dabei jedes Mal abkassiert haben."

Mehrfach hat das Schweizer Bundesgericht in Lausanne höchstrichterlich festgestellt, dass diese Retrozessionen den Kunden zustehen und die Banken diese weitergeben müssen. Rückwirkend und bei Verzug sogar verzinst mit fünf Prozent pro Jahr, was Schwärzler zufolge "konsequent verschwiegen und den Kunden auch nicht angeboten wird". Überhaupt scheinen die Grundsatzurteile manche Schweizer Banken nicht wirklich zu interessieren. "Viele kassieren weiter, als gäbe es diese Urteile nicht", sagt Schwärzler. "Sie behalten die Retrozessionen einfach ein und wenn ein Kunde nachfragt, dann berufen sie sich darauf, dass der Kunde mit den allgemeinen Geschäftsbedingungen unterschrieben habe, dass er auf Retrozessionen verzichtet." Wenn er überhaupt fragt - denn viele Kunden wissen gar nichts von ihren Ansprüchen.

Die meisten Kunden erfahren nicht, wie viel die Bank in ihrem Fall abkassiert

Häufig betroffen sind deutsche Anleger. Solche, die ihr Geld vor Jahren schon in der Schweiz deponiert haben, aber auch Neukunden. Schwärzler sagt, von den 650 Mandanten, deren Ansprüche Liti-Link bislang vertrat oder aktuell vertritt, kämen etwa 60 Prozent aus Deutschland. Das Grundproblem: Selbst Kunden, die von den Retrozessionen wissen, erfahren in der Regel nicht, wie viel die Bank in ihrem Fall abkassiert. Experten halten etwa ein Prozent des individuellen Anlagevolumens als Durchschnittswert für realistisch. In der Summe geht es um Milliardenbeträge. Allein für das Jahr 2012 schätzte die Schweizer Unternehmensberatung Finalix in einer Expertise das Gesamtvolumen der Retrozessionen auf 4,2 Milliarden Schweizer Franken, umgerechnet etwa 3,8 Milliarden Euro. Das wären 12,4 Prozent der gesamten Wertschöpfung dieses Jahres im Schweizer Bankensektor gewesen.

Ob die Dimension noch stimmt - darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Schweizer Bankenombudsmann gibt an, dass Beschwerden über Retrozessionen rückläufig seien. Großbanken wie die UBS versichern, sie würden im Vermögensverwaltungsgeschäft keine Anlagefonds oder strukturierte Produkte mit Retrozessionen mehr vertreiben. Experten im Anlagegeschäft sagen jedoch, das Problem sei keineswegs verschwunden, sondern vielfach nur im Kleingedruckten versteckt. Ohne es zu merken oder darüber explizit aufgeklärt zu werden, würden Anleger per Unterschrift auf ihre Ansprüche verzichten.

Viele Deutsche wollen kein Aufsehen erregen - weil sie Schwarzgeld in der Schweiz hatten

Bei deutschen Kunden ist die Problematik oft noch vielschichtiger. Viele hatten in der Vergangenheit Schwarzgeld in der Schweiz gebunkert und wollten dort kein öffentliches Aufsehen erregen, etwa durch Klagen vor Gericht. Viele von ihnen haben inzwischen Selbstanzeigen erstattet oder ihre Namen fanden sich auf CDs, die Schweizer Bankmitarbeiter an den deutschen Fiskus verkauft haben. Wer sich selbst beim Finanzamt anzeigte oder anderweitig aufflog hatte viele Scherereien und obendrein Nach- und Strafzahlungen zu leisten. "Viele dieser Kunden sind froh, dass das Thema endlich durch ist und wollen nicht mit den Schweizer Banken wegen Retrozessionen in einen neuen Clinch gehen", sagt ein Insider. Auch wenn sie damit unter Umständen viel Geld verschenken.

Wer Retrozessionen einfordert, braucht Geduld und Hartnäckigkeit. Ihre Berechnung ist kompliziert, aufwendig und selbst für in Finanzdingen versierte Laien allein kaum möglich. Viele Banken stellen sich bei dem Thema ohnehin erst einmal taub. Fragt der Kunde konkret nach Retrozessionen, dauert allein schon die Antwort nicht selten Monate. Nur sehr selten werden Informationen sofort detailliert geliefert. Hinter dem Zeitspiel steckt Kalkül; die Ansprüche verjähren und die Verjährungsfristen werden erst unterbrochen, wenn im jeweiligen konkreten Fall die Gerichte entscheiden und zum Beispiel ein Vollstreckungstitel erwirkt wird.

Und Grundsatzurteile hin oder her - kaum ein Geldhaus leitet die einkassierten Provisionen von sich aus an die Kunden weiter. Manche haben als Konsequenz auf retrozessionsfreie Finanzprodukte umgestellt oder wollen dies tun. Die ganz große Mehrheit aber macht nach Einschätzung von Hubert Schwärzler einfach weiter wie früher. "Es handelt sich nach wie vor um ein Standardgeschäft in der Vermögensverwaltung", sagt er.

Schwärzler hat aus alledem ein Geschäftsmodell kreiert, das er mit Liti-Link verfolgt. Das in der Ostschweiz ansässige Unternehmen kauft die Forderungen von Kunden auf und bietet ihnen an, das Geld ganz oder zumindest zu einem großen Teil gerichtlich oder per Vergleich einzutreiben. Im Erfolgsfall erhält der Kunde 60 Prozent der Summe, bei Liti-Link bleiben 40 Prozent. Dafür muss nicht der Kunde, sondern die Firma in den Nahkampf mit den Geldhäusern um Informationen und Rückzahlungen gehen. Hubert Schwärzler glaubt, dass die Hinhaltepolitik dem ohnehin durch Schwarzgeld- und Geldwäscheskandale in den vergangenen Jahren schon ramponierten Ruf der Schweizer Banken weiter schadet. "Das blinde, fast anhimmelnde Vertrauen in die Schweizer Banken ist seit den Steuer-CDs vorbei."

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Quelle:
SZ vom 23.10.2019
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