Süddeutsche Zeitung

Bundeshaushalt:Scholz positioniert sich mit Rekordschulden als umsichtiger Krisenmanager

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Dass der Bundesfinanzminister Kredite aufnimmt anstatt die Reserven anzutasten, ist bemerkenswert: Scholz will im Wahljahr nicht knickrig sein.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat einen Schuldenhaushalt vorgelegt, der alle Grenzen sprengt. Mehr als zweihundert Milliarden Euro kann der Bund in diesem und im nächsten Jahr kreditfinanziert ausgeben, um die Folgen der Pandemie zu mindern. Das ist ein bundesdeutscher Rekord, wogegen sich die wegen der globalen Finanzkrise vor zehn Jahren aufgenommenen Kredite mickrig ausnehmen. Die Zeit der schwarzen Null ist beendet, statt ihrer steht ein rotes Minuszeichen unter den Haushaltsplanungen.

Bemerkenswert ist, wie klaglos es CDU und CSU hinnehmen, dass ihr Statussymbol, die schwarze Null als Zeichen seriösen Haushaltens, verschwunden ist. Sicher ist es richtig, so kraftvoll wie möglich gegen die Pandemie anzusteuern. Aber das erklärt nicht, wieso die Union die Strategie des Sozialdemokraten Scholz mitträgt, die für 2020 geplanten Rekordschulden in großem Stil in diverse ausgelagerte Finanztöpfe umzuleiten, aus denen auch im nächsten Jahr, wie der Minister sagt, investiert werden kann. Und auch nicht, dass sie es goutiert, wenn Scholz die 48 Milliarden Euro an Rücklagen unangetastet lässt.

Der zweite Mann

Scholz ist nicht nur ein Politprofi mit Ambitionen - sondern auch Langstreckenläufer. Die strategische Planung des Nachtragsetats für 2020 legt nahe, dass er an die Zukunft gedacht hat. Das nächste Jahr ist ein Wahljahr, und zwar ein ganz besonderes. Angela Merkel will sich nicht wieder für das Kanzleramt bewerben. Dass es seit 16 Jahren erstmals kein Wahlplakat mit ihr geben wird, dürfte einen Schock auslösen, den die Union dann erst zu überwinden haben wird. Der Schock wiederum kann eine Chance sein für die SPD, und vielleicht auch für Scholz, um neue Wähler zu werben.

Scholz will folglich vermeiden, sich im Wahlkampf als roter Schuldenkönig für die politische Konkurrenz angreifbar zu machen. Den Titel bekäme er, müsste er im Wahljahr den Bundestag um neue Milliardenkredite bitten. Dem hat er vorgebeugt, indem er jetzt Sondertöpfe auffüllen lässt, aus denen 2021 öffentlichkeitswirksam geschöpft werden kann. Der Energie- und Klimafonds hat 26 Milliarden bekommen; das garantiert nebenbei niedrige Strompreise. Puffer gibt es für den Digitalpakt Schule, Ganztagsschulen und den Kita-Ausbau. Die Arbeitsagentur erhält 18 Milliarden Euro, die SPD will gewappnet sein, falls es mit der Kurzarbeit weitergehen muss.

Es ist noch ein gutes Jahr bis zur Wahl, aber Scholz will vorbereitet sein. Für den Fall, dass ihn die Sozialdemokraten bitten, um das Kanzleramt zu kämpfen. Es ist ja nicht zu bestreiten, dass der Minister gegenüber so gut wie allen Kandidaten der anderen Parteien, soweit sie bisher absehbar sind, einen Vorteil hat. Er kann sich im Kampf gegen die Pandemie als umsichtiger Krisenmanager beweisen, als der zweite Mann hinter Kanzlerin Angela Merkel, die in der Gunst der Bürger unangefochten vorne liegt. Soweit es die coronabedingten unsicheren Zustände zulassen, kann Scholz den Wählern vorführen, was sozialdemokratische Finanzpolitik leisten kann. Jetzt macht er Rekordschulden, im nächsten Jahr kann er, zieht die Konjunktur an, wieder die Einhaltung der Schuldenbremse in Aussicht stellen, ohne sparen zu müssen. Tritt Merkel ab, ist es gut möglich, dass die Wähler sich jenen zuwenden werden, die sie gut durch die Pandemie bringen.

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SZ vom 18.06.2020
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