Süddeutsche Zeitung

Samstagsessay:Mund auf

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Deutsche Führungskräfte meiden die öffentliche Diskussion. Sie gehen nicht ins Fernsehen und schweigen zu AfD und Trump. Das diene, glauben sie, den Interessen ihres Unternehmens. Welch ein Irrtum!

Von Karl-Heinz Büschemann

Donnerwetter! Das klingt nach Verstimmung. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) stellt die Bundesregierung an den Pranger. Dieter Kempf, der Verbandschef, wirft Berlin vor, zu viele Versprechen gebrochen zu haben. Die Regierung befinde sich im "permanenten Selbstgesprächmodus", sie sei zu viel mit sich selbst beschäftigt. Was die Koalition sich leiste, das grenze für die Wirtschaft an "unterlassene Hilfeleistung", schimpfte Kempf am Dienstag in Berlin. Kanzlerin Angela Merkel gab sich demütig. "Ich kann Sie alle gut verstehen", war ihre unterwürfige Antwort. "Ich werde alles daran setzen, zu Verbesserungen zu kommen."

Was Kempf der Regierung ankreidet, ist allerdings nicht viel mehr als das Mindeste, was derzeit über die Regierung gesagt werden muss. Wohl auch der letzte Hinterdembergbürger hat nach einem Jahr des vierten Kabinetts Merkel mitbekommen, dass diese große Koalition um sich selbst kreist und an nüchternes Regieren vor lauter Krisenmanagement gar nicht zu denken ist. Solche Kritik muss sein, Mut gehört aber nicht dazu.

Kempf war schon mal weiter. Im Sommer fand es der BDI angemessen, gemeinsam mit den anderen Spitzenverbänden der Wirtschaft eine Debatte anzustoßen, die über den Tellerrand des kleinteiligen Berliner Politikgezerres hinausgeht. Die Verbände mahnten eine kritische Haltung gegen den wachsenden Nationalismus in Europa wie in Amerika an. Angesichts der weltpolitischen Entwicklungen und ökonomischen Herausforderungen wünsche sich der BDI "ein gemeinsames Vorgehen" innerhalb der EU. Das "große europäische Einigungswerk" dürfe keinesfalls aufs Spiel gesetzt werden. Das zänkische Gezerre der Parteien in Deutschland dagegen schade dem Ansehen der deutschen Wirtschaft.

"Vielen Spitzenmanagern fehlt es an Courage", sagt ein Chef über seine Kollegen

Das war mal ein Wort. Die Verbände standen mit Ihrer Philippika aber ziemlich allein. Unterstützung aus den Unternehmen gibt es nur wenig. In den Chefetagen herrscht meist das große Schweigen über den zunehmenden Rechtstrend in Deutschland, Europa und anderswo. Die meisten Führungskräfte sagen nichts, wenn US-Präsident Donald Trump die Prinzipien des freien Handels zertrampelt, der eine Grundlage für den Wohlstand auf beiden Seiten des Atlantiks ist. Stattdessen hielten es Siemens-Chef Joe Kaeser oder der SAP-Vorstandsvorsitzende Bill Mc Dermott im Januar beim Weltwirtschaftsforum in Davos für richtig, mit einem Anflug von Liebedienerei und gut hörbar für die Zuschauer der deutschen Fernsehnachrichten, den US-Präsidenten für seine Steuerreform zu loben und dafür, dass er Schwung in die Weltwirtschaft gebracht habe.

Europa, für das normale Bürger in Initiativen wie "Pulse of Europe" jeden Sonntag europaweit auf die Straße gehen, scheint die Unternehmenschefs nicht zu interessieren. Eine der Ausnahmen ist Martin Brudermüller, der Vorstandsvorsitzende des deutschen Chemiekonzerns BASF. Wo Amerikas Trump die Welt spaltet, und wo sich in Europa die Versuche häufen, die EU zu schwächen, sieht der BASF-Chef eine Gefahr für Gesellschaft und Wohlstand. Gerade jetzt brauche Europa starke, von allen getragene Positionen gegenüber den USA, aber auch gegenüber der Langfriststrategie Chinas. Europas Wohlstand könne nur gesichert werden, wenn "wir alle" mit einer Stimme sprächen. "Doch leider folgen immer mehr Länder in Europa ihren Einzelinteressen und unterlaufen damit die Interessen Europas."

Ansonsten herrscht das große Schweigen über Rassismus und Nationalismus. Harald Christ, der früher im Vorstand der Ergo-Versicherung saß, hat eine Erklärung, warum sich die Chefs so wenig einmischen, wenn auf den Straßen in Chemnitz der anders aussehende Einwanderer vom Mob als schädlicher Sozialschmarotzer wahrgenommen und auf den Handelskonferenzen der Industrienationen der Konkurrent vom amerikanischen Präsidenten zum Feind erklärt wird: "Vielen Spitzenmanagern fehlt es an Courage", sagt der Unternehmer Christ, der heute die SPD in Wirtschaftsfragen berät. Das sei ein Fehler. "Wir alle, auch die Unternehmen leben von der Sicherheit einer stabilen Demokratie und tragen dafür Verantwortung." Die Angst, Käufer oder im Zweifelsfall Mitarbeiter zu verlieren, dürfe dabei keine Rolle spielen.

Solche Rücksichtnahme scheint aber bei Firmenchefs der Grund zu sein, sich zu brennenden politischen Fragen nicht zu äußern. Das hat Siemens-Chef Joe Kaeser festgestellt. Er hatte im Sommer versucht, gemeinsam mit anderen Dax-Chefs gegen die AfD zu Felde zu ziehen, und er war gescheitert. Kaeser hatte per Twitter auf eine fremdenfeindliche Äußerung der AfD-Fraktionsvorsitzendem in Bundestag, Alice Weidel, reagiert, die sich über "Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse" geäußert hatte. Kaeser sah sich in seiner Reaktion veranlasst, an eine Nazi-Jugendorganisation zu erinnern: "Lieber Kopftuchmädel als Bund Deutscher Mädel", war seine Kurzbotschaft. Alice Weidel schade mit ihrem Nationalismus dem Ansehen Deutschlands in der Welt, "da, wo die Hauptquelle des deutschen Wohlstands liegt". Sich dazu zu äußern, sei auch für Firmenchefs eine Frage "von Anstand und Moral".

Nur: Kaeser fand keine Mitstreiter bei seinen Dax-Kollegen. Der Chef eines Autokonzerns habe mit der Begründung abgewinkt, er werde keine Kritik an der AfD üben, weil dann möglicherweise deren Wähler "meine Autos nicht mehr kaufen". Ein großer Sportartikelhersteller soll ebenfalls abgelehnt haben, in Kaesers Initiative mitzumachen. Manche Dax-Vertreter machen sich über Kaeser sogar lustig. Ein bayerischer Konzern-Kommunikationschef mokiert sich darüber, Kaeser habe "ja jetzt wohl das Thema AfD für sich entdeckt."

Wenigstens Schraubenkönig Reinhold Würth sieht die Dinge wie Kaeser. Würth ist einer der reichsten Menschen Deutschlands und inzwischen 83 Jahre alt. Vielleicht macht er sich gerade deshalb Sorgen, weil er die Nazizeit noch erlebt hat. Er sehe manchmal Parallelen zur Weimarer Republik, sagte Würth kürzlich: "Lassen Sie uns verhindern, dass wir in eine braune Diktatur hineinlaufen."

Es ist bedrückend, wie die Chefs großer Konzerne krampfhaft versuchen, als möglichst unpolitisch zu erscheinen, auch in Zeiten, in denen Grundprinzipien von Freiheit und Freizügigkeit unter die Räder zu kommen scheinen. Die Herren Manager basteln lieber an der Legende, Unternehmenschefs seien allenfalls ihren Aktionären, den Kunden und den Mitarbeitern verpflichtet, sonst niemandem. Sie tun so, als seien sie allein dem Aktiengesetz verpflichtet, das von ihnen verlangt, alles zu tun, was den Gewinn des Unternehmens mehrt und zu unterlassen, was den Profit schmälert. Dass Unternehmen auch eine gesellschaftliche Rolle haben, scheint sie nicht zu interessieren. Oder sind die Chefs einfach nur feige?

Die oft bemühte Behauptung, Unternehmen sollten sich in die Politik nicht einmischen, ist ziemlich offenkundig grotesk. Wer gesehen hat, wie in letzter Zeit die Autoindustrie mit der Bundesregierung in der Dieselkrise Schlitten gefahren ist, dem kann niemand den Bären von den Unternehmen als politikfreie Zonen aufbinden. Zu groß sind die Lobby-Büros der Konzerne in Berlin und in Brüssel.

Es ist auch rührend zu beobachten, wie sich Sprecher der Konzerne winden, wenn sie nach Äußerungen ihrer Chefs zum politischen Großgeschehen gefragt werden. Das sei nicht angebracht, Unternehmenschefs hätten doch keine demokratische Legitimation. Sie seien nicht demokratisch gewählt.

Dieser Einwand ist merkwürdig. Sind denn Firmenchefs nicht auch Bürger, die wie alle anderen das Recht haben, den Mund aufzumachen? Führungskräfte sind die Gesichter großer Organisationen mit manchmal mehreren Hunderttausend Mitarbeitern. Sie sind damit auch Vor- und Leitbilder, die sich nicht verstecken dürfen.

Man muss von einem Konzernchef, der im Jahr bis zu zehn Millionen Euro verdient, verlangen können, dass er Geist und Courage genug hat, im richtigen Moment öffentlich das Notwendige zu sagen. Er muss es ja nicht jeden Tag tun, aber prinzipiell abtauchen geht nicht, schon gar mit der Begründung, eine politische Aussage könnte vielleicht Kunden vergraulen. Chefs werden für ihre Konfliktfähigkeit bezahlt, nicht fürs Kuschen. Und schon mancher Manager hat an Ansehen gewonnen, wenn er sich mit klarer Kante in der Öffentlichkeit gezeigt hat.

Sie haben von den offenen Grenzen profitiert - jetzt muss man sie verteidigen

Wie armselig wirkt die Formel, die in Kreisen der großen Konzerne fast gleichlautend angewandt wird: keine Talkshows! Das möchte man kaum glauben. Es mag beklagenswert sein, dass die politische Debatte sich von Parlamenten in die TV-Shows verlagert hat. Aber dennoch dürfen sich die Chefs nicht vor diesen Foren drücken. Aber sie tun es, weil ihre Kommunikationsberater und Juristen ihnen einschärfen, im TV-Studio gebe es nichts zu gewinnen. Dort seien die Manager den Dauerquasslern aus den Parteien rhetorisch hoffnungslos unterlegen, behaupten sie. "Das sind doch reine Konfrontationsshows", sagt ein Dax-Kommunikationschef. Man fragt sich, warum die Konzerne Riesenstäbe an Medienberatern und Redenschreibern beschäftigen, wenn die es nicht schaffen, ihre Bosse öffentlich diskussionsfest zu machen?

Das Erstaunliche an den schweigenden Chefs ist, dass sie sich mit ihrer vorgeblichen Polit-Abstinenz sogar gegen die Interessen des eigenen Unternehmens vergehen. Wer nichts sagt, wenn ein Donald Trump den freien Handel für Betrug an Amerika hält, begeht einen Fehler, auch wenn fast jedes deutsche Unternehmen auch Kunden in Amerika hat und man vielleicht die Rache des Weißen Hauses fürchten muss. Wer schweigt, wenn die bayerische CSU im Wahlkampf vor nationalistischen Tönen nicht zurückschreckt, die an den ungarischen Hardliner Victor Orbán erinnern, schaut zu, wie eine der Geschäftsgrundlagen für den Erfolg der deutschen Wirtschaft der vergangenen Jahrzehnte für einen läppischen Landtagswahlkampf angetastet wird. Die EU, die Offenheit der Grenzen und die Freiheit des Welthandels, haben Konzerne wie Adidas, BMW, Siemens oder BASF erst zu den Erfolgsunternehmen gemacht, die sie heute sind.

Die Manager müssen sich mal wieder klarmachen, dass es einen Unterschied gibt zwischen kurzfristigen und langfristigen Interessen eines Unternehmens. Wer dem Abbau des freien Handels tatenlos zusieht, wer sich nicht einmischt, wenn Grenzen zwischen Ländern wieder hochgezogen werden, vergeht sich gegen die langfristigen Interessen der Unternehmen. Die sind zwar nicht ausdrücklich im Aktiengesetz erwähnt. Aber die Langfristziele sind viel wichtiger als die nächsten Quartalsergebnisse.

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Quelle:
SZ vom 29.09.2018
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