Süddeutsche Zeitung

Salesforce:Das Unternehmen als Smartphone

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Der Cloud-Konzern ist mit einfach zu nutzender Software erfolgreich, sieht sich aber auch Protesten ausgesetzt.

Von Katharina Kutsche, San Francisco

"Lasst mich darüber sprechen, was derzeit in der Welt passiert", sagt Keith Block, Co-Chef des Cloud-Unternehmens Salesforce, bei einem Pressegespräch in kleinem Kreis. Digitale Transformation sei ein Begriff, zu dem jeder im Raum vermutlich eine andere Definition habe. Seiner Einschätzung nach bestehe sie aus drei Komponenten. Erstens: Transformation der Technologie, etwa der Wechsel hin zur Cloud-Infrastruktur von Anbietern wie Google, Microsoft oder Salesforce.

Damit einher gehe, zweitens, ein Wandel des Geschäftsmodells. Unternehmen müssten sich anders organisieren, um die Technik richtig einzusetzen und mit der Konkurrenz mitzuhalten: "disrupt or be disrupted", zu Deutsch: Zerstöre oder werde zerstört. Das müsse strategisch mit dem dritten Punkt, der kulturellen Transformation, kombiniert werden. Betriebe müssten ihre Mitarbeiter für neue Programme fortbilden, zudem ergeben sich ethische Fragen, etwa zum Umgang mit künstlicher Intelligenz.

Natürlich will Salesforce mit seinen Produkten bei diesem Wandel behilflich sein. Block nennt als Beispiel den amerikanischen Versicherer State Farm. Für das Unternehmen, das seit mehr als 75 Jahren bestehe, sei der Weg in die Cloud ein elementarer Schritt gewesen - aber auch unvermeidlich, denn "Unternehmen müssen Kunden ein Erlebnis anbieten, das dem entspricht, was sie bei der Nutzung ihres Smartphones erleben", so Block.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ruft sein Unternehmen "das Ende der Software" aus. Und macht das bei der Dreamforce auch bildlich klar. Bei dieser Hausmesse von Salesforce hüpft ein (vermutlich bemitleidenswerter) Mensch im Kostüm eines weißen Balls herum, auf dessen Kuschelfell das Wort Software rot umrandet und durchgestrichen ist. Das ist seit Jahren die Ansage von Salesforce: Für unsere Dienste braucht niemand Programme zu installieren, bei uns gibt es alles in der Cloud.

"Software as a Service" (SaaS) nennt man das, und Salesforce, gegründet 1999, war ein Vorreiter dieses Prinzips. Das wollen die Kalifornier ausbauen und sich gegenüber der Konkurrenz von Oracle, Microsoft und SAP absetzen.

Unternehmer haben eine Verantwortung, Regierungen auf halbem Weg zu treffen

Salesforce-Produkte sollen so einfach zu bedienen sein wie bei Amazon einzukaufen - wobei sie sich aber nicht an Privat-, sondern an Firmenkunden richten. Deren Mitarbeiter können damit Kundendaten auswerten, anhand von Grafiken und Informationen, die das Verhältnis zwischen Firma und Verbraucher verbessern sollen. Seit 2018 hat das Unternehmen für mehrere Milliarden Dollar zwei wichtige Spezialisten aufgekauft, die seine Services unterstützen sollen: Mulesoft, einen Anbieter einer Integrationsplattform, über die sich unterschiedliche Cloud-Anwendungen verbinden lassen. Und den Grafikspezialisten Tableau, der sich auf die besonders anschauliche Visualisierung komplexer Daten fokussiert.

Decathlon etwa, eine international agierende französische Sportartikel-Kette, nutzt Mulesoft, um die Systeme in seinen zwei Ladengeschäften in den USA mit der Zentrale in Nordfrankreich zu verbinden. In der Filiale in San Francisco arbeiten die menschlichen Mitarbeiter mit einem Roboter namens Tally zusammen, der ihnen die Inventur der Waren abnimmt. Die Daten, die er innerhalb von zwei Stunden im Laden zusammenträgt, werden in das anders arbeitende System im Hauptquartier übertragen. Auch Produkte, die Kunden online ordern, etwa über ein Tablet im stationären Shop, werden so erfasst und zusammengeführt.

Mit den Systemen von Salesforce arbeitet aber auch die US-amerikanische Grenzbehörde Custom and Border Protection (CBP). Das kritisierten Menschen schon vor einem Jahr, als CBP Kinder bei der Einreise aus Mexiko getrennt von ihren Eltern in Gewahrsam nahm, was auch international Protest auslöste. Mitarbeiter von Salesforce appellierten damals an Marc Benioff, er solle die Verträge aufheben. Der Gründer und CEO tat sich mit einer Entscheidung schwer, lehnte aber ab, weil seine Software nicht für die kritisierten Zwecke genutzt werde. Bei der Eröffnung der Dreamforce am Dienstag unterbrachen Aktivisten Benioffs Ansprache, um erneut zu protestieren.

Co-CEO Keith Block erklärt nun, es habe "Gespräche mit bestimmten Kunden" darüber gegeben, "wie die Zukunft unserer Beziehung aussehen könnte". Ob auslaufende Verträge nicht fortgesetzt würden, werde man im Einzelfall entscheiden. "Am Ende des Tages wollen wir mit Kunden arbeiten, die unsere Werte teilen", stellt Block klar und ergänzt: "Sie dürfen Ihre Schlüsse daraus ziehen."

Generell haben Unternehmer eine Verantwortung, Regierungen auf halbem Weg zu treffen, so Block. Die Welt sei so komplex geworden, dass es unrealistisch sei, von der Regierung zu erwarten, dass sie alle Nuancen und Auswirkungen der Nutzung von Technologien begreife. Beim Thema Datenschutz etwa sei die Europäische Union mit ihrer Grundverordnung deutlich weiter als die Amerikaner. In den USA hänge der Schutz von Daten "von der Postleitzahl" ab - jeder Bundesstaat mache sein eigenes Ding. "Die Regierung muss dafür eine Lösung finden", sagt Block. Das Ende der Software, es ist eben nicht das Ende der Probleme.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2019
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