Süddeutsche Zeitung

Reden wir über Geld mit Egon Ernst:"Manche Leute tun so, als seien sie was Besseres"

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Egon Ernst ist seit zwei Jahren obdachlos. Das kann jedem passieren, sagt der 62-Jährige - und erzählt, warum er nie betteln würde.

Von Susanne Höll und Markus Zydra

Egon Ernst, 62, lebt seit zwei Jahren auf der Straße. Erst in Hamburg, dann in Frankfurt, jetzt in Berlin. Wie das kam? "Dummes Schicksal", sagt er. "Ich bin natürlich selbst mit dran schuld. Meine Frau auch, die kaputte Ehe."

Es ist ein hartes Leben, das der schmächtige Mann mit etwa 335 000 anderen Obdachlosen in Deutschland teilt. Mitunter müsse er schlimme Beschimpfungen von Passanten erdulden. "Einer hat mich mal ein arbeitsloses, dreckiges Schwein genannt. Ich hab geantwortet: 'Wo bin ich, bitte schön, dreckig?'" Auf viele Sprüche reagiert Ernst mittlerweile gar nicht mehr. Dafür beobachtet er die Menschen um ihn herum ganz genau: "Über manche, die um Spenden bitten, ärgere ich mich auch. Da gibt es Leute, die tagsüber mit Krücke und Becher an der Ecke stehen. Abends werfen sie die Krücke weg und verjubeln das Geld. So etwas versteh ich nicht." Er selbst bettelt nie. "Da bin ich eitel", sagt er.

Ursprünglich kommt der gelernte Dreher aus der DDR. Dort war er aufsässig, kam ins Gefängnis. 1985 wurde er in den Westen abgeschoben. "Ich landete in Hamburg, hab gearbeitet, im Schacht oder auf dem Bau." Ernst heiratete schließlich, seine Frau brachte drei Kinder zur Welt. "Wir hatten nicht viel. Aber wir waren zufrieden. Wir hatten uns etwas aufgebaut", erzählt er.

Doch dann folgte der Abstieg: Wirbelsäule und Bandscheibe kaputt, Hörschaden, Arbeitslosigkeit, Scheidung, Hartz IV, obdachlos. Ein Schicksal, das jeden ereilen kann, glaubt Egon Ernst. "Manche Leute tun so, als seien sie was Besseres. Die denken, ihnen könnte das nie passieren, arbeitslos, obdachlos. Quatsch. Ich hab früher auch nicht geglaubt, dass ich mal so leben würde", sagt er.

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