Süddeutsche Zeitung

Prototyp für Synapsen-Prozessor:IBM feiert Durchbruch beim Menschenhirn-Chip

Lesezeit: 2 min

Computerprozessoren werden immer schneller, doch sie können bislang nur die Informationen verarbeiten, für die sie programmiert wurden. Eine IBM-Forschungsgruppe hat nun Mikrochips gebaut, die eigene Erkenntnisse gewinnen - und damit Computern die Grundzüge menschlicher Wahrnehmung schenken könnten.

Computer werden immer leistungsfähiger, aber an die Fähigkeiten des menschlichen Gehirn reichen sie nicht ansatzweise heran. Die besondere Herausforderung bei der Weiterentwicklung der Computer in diese Richtung liegt darin, Technik und die Erkenntnisse der Gehirnforschung zu verbinden.

Forschern von IBM sind dabei jetzt nach eigenen Angaben einen großen Schritt weitergekommen. Sie stellten nun Prototypen von Prozessoren vor, die Informationen mehr wie das menschliche Gehirn verarbeiten und sich dadurch deutlich von heutigen Chips unterscheiden.

Bis die Prozessoren es vom Labor in irgendwelche Geräte schaffen, dürfte wohl noch mindestens ein Jahrzehnt vergehen. Es sei aber auch gar nicht so wichtig, was diese Chips jetzt schon könnten, sagt Giulio Tononi, ein Professor für Psychiatrie von der Universität von Wisconsin, der mit IBM an dem Projekt arbeitete.

Viel interessanter sei, wie sie arbeiteten. Die besondere Eigenschaft der Chips sei, dass sie auch Informationen verarbeiten können, für die sie nicht programmiert wurden. "Es gibt sicher noch viel Arbeit, aber der erste Schritt ist immer der wichtigste", sagte Tononi in einem Interview. "Und das ist nicht ein Schritt, es sind mehrere."

US-Verteidigungsministerium förderte die Forschung

Die Chips sind das Ergebnis von sechsjährigen Forschungen, an denen Hundert Wissenschaftler beteiligt waren. Zur Finanzierung steuerte die Behörde des US-Verteidigungsministeriums zur Förderung von Forschungsarbeiten (DARPA) rund 41 Millionen Dollar bei. Wie viel Geld von IBM kam, ist nicht bekannt.

Was IBM daran interessiert, ist die Fähigkeit der Chips, Signale aus der realen Welt wie Temperaturen, Geräusche oder Bewegung so zu verarbeiten, dass ein Computer sie nutzen kann. Ziel ist es, bestehende Infrastrukturen wie etwa Kraftwerke oder auch Straßenlampen mit Computern zu verbinden.

Dharmendra Modha, der Projektleiter bei IBM Research, erklärte, die neuen Chips hätten Teile, die sich wie digitale "Neuronen" und "Synapsen" verhielten. Jeder einzelne Kern des Prozessor habe Rechen-, Kommunikations- und Speicherfunktionen.

Die Parallelität der Vorgänge sei dabei das wesentlich Neue: Computer, die mit dem neuen Chip ausgestattet sind, könnten ähnlich dem menschlichen Gehirn Erfahrungen sammeln und darauf Hypothesen bilden.

IBM nennt verschiedene Anwendungsmöglichkeiten im Alltag: Mit Hilfe eines Handschuhs, in der solche Chips eingebaut sind, könnte einem Obsthändler sofort anhand von Aussehen, Geruch, Temperatur und Oberflächenstruktur angezeigt werden, welches Obst verdorben ist. Ampeln könnten Videoaufzeichnungen, Gerüchen und Geräusche dafür nutzen, um auf Unfälle mit einer neuen Schaltung zu reagieren.

Simulation von Denkprozessen

Das Projekt ist Teil der Forschungen bei IBM, die schon 2009 zu der Ankündigung führten, man habe mit einem Supercomputer die Großhirnrinde, also den Denkprozess einer Katze, simuliert.

Schon 2006 hatte IBM bekannt gegeben, dass 40 Prozent des Gehirns einer Maus simuliert worden seien. 2007 war es dann das komplette Gehirn einer Ratte und 2009 ein Prozent des menschlichen Gehirns.

Ein Computer mit den Fähigkeiten eines menschlichen Gehirns bleibt damit Zukunftsmusik. Die jüngste Entwicklung ist aber ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1132490
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/Jordan Robertson, AP/joku
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.