Süddeutsche Zeitung

Proteste in der arabischen Welt:Schwere Erschütterungen

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Seit die Menschen in Nordafrika und im Nahen Osten auf die Straße gehen, wächst weltweit die Sorge vor den Folgen der Krise. Könnte ein anhaltender Konflikt die ohnehin gebeutelte Region erneut zurückwerfen? Aber es gibt auch Hoffnung.

M. Balser und R. Chimelli

Kaum ein Tag ohne Krisensitzung: In der Hamburger Zentrale von RWE Dea laufen die Fäden aller internationalen Aktivitäten des Konzerns zusammen. Nicht selten kommt es in Ländern, wo das Unternehmen Rohstoffe fördert, zu politischen Krisen. Doch was derzeit in Ägypten passiert, treibt dem Spitzenmanagement Sorgenfalten auf die Stirn. Denn eigentlich winken in Nordafrika lukrative Milliardengeschäfte. Doch seit sich das Land gegen seinen Diktator erhebt, fragt sich das Management auch in Hamburg, wie es weiter geht.

Erst im vergangenen Sommer beschloss die Tochter des Essener Energiekonzerns am Nil die größte Einzelinvestition in der 110-jährigen Firmengeschichte. 3,6 Milliarden Dollar sollen fließen. Zusammen mit dem Rohstoffmulti BP investiert der Konzern im Nildelta in neue Vorkommen. Das Projekt läuft, schon 2014 soll Gas fließen. Doch statt um Testbohrungen geht es plötzlich um ganz andere Fragen: Wie lange können die deutschen Experten vor Ort bleiben?

Wie sicher sind die eigenen Beschäftigten? "Wenn man dort Mitarbeiter hat, beobachtet man die Lage genau", sagt ein Konzernsprecher am Freitag. Das Unternehmen stehe in ständigem Kontakt zu deutschen und internationalen Botschaften in der Region und dem Auswärtigen Amt in Berlin. Statt Aufbruch droht nun Rückzug. Es wäre ein Rückschlag.

Flucht der Investoren

Nicht nur für den Konzern aus Hamburg. Seit die Menschen in Ägypten und in Jemen, ermuntert vom Sturz der Regierung in Tunesien, auf die Straße gehen und immer vehementer die Machtfrage stellen, wächst weltweit die Sorge um die wirtschaftlichen Folgen der Krise. Könnte ein anhaltender Konflikt die ohnehin von hoher Arbeitslosigkeit gebeutelte Region erneut zurückwerfen?

Und welche Folgen hat der Aufruhr für die hiesige Wirtschaft, die immer stärker mit dem Norden des afrikanischen Kontinents verwoben ist? Die Eskalation der Proteste am Freitag Abend ließ die Angst vor einem politischen wie wirtschaftlichen Flächenbrand in der Region wachsen. Internationale Investoren begannen bereits damit, Kapital im großen Stil abzuziehen.

Die Kairoer Börse hat binnen zwei Tagen 16 Prozent verloren und musste am Donnerstag vorübergehend geschlossen werden. Das ägyptische Pfund hat ein Prozent seines Außenkurses verloren und damit den niedrigsten Stand seit März 2005 erreicht. Die Kapitalflucht begann schon am Mittwoch. Als Tausende gegen den seit 1981 autoritär regierenden Präsidenten Hosni Mubarak demonstrierten, registrierten die Computer internationaler Großbanken einen Erdrutsch.

Binnen Stunden wurden 150 Millionen Dollar vom ägyptischen Anleihemarkt abgezogen. In Tunesien waren die Märkte schon zuvor zum Erliegen gekommen. Die Börse in Tunis verlor in der Woche des Umsturzes 13 Prozent und ist seither noch immer geschlossen. Längst nicht die einzige Folge der Unruhen: An der Touristenküste haben praktisch alle Hotels geschlossen. Was dies für den Arbeitsmarkt bedeutet, ist kaum absehbar.

Die Flucht der Investoren aus dem arabischen Raum gefährdet die Hoffnung auf stärkere wirtschaftliche Entwicklung. "Die politischen Unruhen werden Einschnitte in der Wirtschaft zur Folge haben", ist sich Helene Rang vom Nah- und Mittelost-Verein in Berlin sicher.

Dabei hatten viele Länder der Region die weltweite Wirtschaftskrise überraschend schnell überwunden. Gerade Ägypten hatte sich zuletzt zur immer einflussreicheren Kraft der Region entwickelt. Im vergangenen Jahr war die Wirtschaft des Landes um fünf Prozent gewachsen. Investmentbanken trauten dem Land einiges zu und sahen es fast schon in einer Liga mit Schwellenländern wie Russland, Mexiko oder Brasilien. Die US-Bank Goldman Sachs stufte Ägypten noch kürzlich als eines der "Next Eleven" ein - als eines jener Länder, denen der Aufstieg in die Gruppe der Schwellenländer zugetraut wird.

Sorge und Hoffnung

Vor allem die große und sehr junge Bevölkerung Ägyptens hatte die Hoffnungen genährt, dass die Wirtschaft vor einem kräftigem Wachstum steht. Doch den jungen Menschen selbst fehlt die Perspektive. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit erweist sich als sozialer Sprengstoff. Laut Weltbank liegt die Arbeitslosenquote bei jungen Ägyptern derzeit bei 30 Prozent und damit etwa doppelt so hoch wie in Lateinamerika.

Auch Nachbarländer aus der Region sind besorgt und mahnen Veränderungen an. Es seien dringend Wirtschafts- und Sozialreformen in der Region nötig, sagte Marokkos Energieministerin Amina Benkhadra der Süddeutschen Zeitung. "In einigen Ländern schieben Politiker diese Reformen seit 20 Jahren vor sich her. Wir müssen dringend für mehr Gerechtigkeit und Perspektiven sorgen, damit die Situation nicht weiter eskaliert."

Die Nähe zum Heimatmarkt, noch niedrigere Löhne als in Osteuropa und die Einrichtung von Freihandelszonen hatten zuletzt immer mehr Unternehmen in die Region gelockt. Große Vorkommen an Öl und Gas, verbunden mit hohen Devisenreserven verleihen Ländern wie Ägypten zudem wachsenden Einfluss und Anziehungskraft.

Der deutsche Außenhandel mit der Region erreichte 2009 erstmals die Marke von 40 Milliarden Euro. Vor allem für die Auto-, Textil- und die Energiebranche hätten Nordafrika und der Nahe Osten in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen, sagt Felix Neugart, Nahost-Experte des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) in Berlin. Wegen guter Investitionsbedingungen hätten erste Firmen sogar ihre Produktion aus Asien wieder näher an Europa herangeholt und Werke aus dem Fernen Osten nach Nordafrika verlagert.

Zwar gelten weder in Ägypten noch in Tunesien die Kräfte, die hinter der Protestbewegung stehen, als sozialrevolutionär. Sie wollen im Augenblick mehr Gerechtigkeit, aber nicht Enteignung im großen Stil. Dennoch warnen Experten vor den Langfristeffekten der Unruhen für die Wirtschaftspolitik. Sowohl Mubarak als auch seine eventuelle Ablösung müssen das 80-Millionen-Volk in Ägypten durch erhöhte Subventionen für die Grundnahrungsmittel günstig stimmen. Das könnte den ohnehin großen Schuldenberg des Landes weiter wachsen lassen und so die nächste Krise heraufbeschwören.

Für Deutschland birgt die Analyse Risiken, denn die Region wird immer wichtiger. So ist Deutschland für Ägypten einer der größten Handelspartner. Wichtigster Lieferant von Waren nach Ägypten sind noch die USA mit einem Anteil an den Gesamtimporten von knapp elf Prozent im Jahre 2009. Deutschland lag mit acht Prozent hinter China auf Rang drei. Der deutsche Export aber wuchs im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres mit 22 Prozent kräftig und lag zur Jahresmitte bei knapp 1,5 Milliarden Euro. Die Deutschen exportieren vor allem Maschinen, Fahrzeugteile, Elektronik oder Arzneimittel an den Nil.

In die Sorge mischt sich aber auch Hoffnung, stellt der DIHK fest: "Viele deutsche Fimen begleiten den Übergangsprozess positiv", sagt Nahost-Experte Neugart. "Für Investoren ist langfristige Stabilität und Rechtssicherheit wichtig." Die Lage habe sich inzwischen beruhigt, sagte eine Sprecherin des bayerischen Autozulieferers Dräxlmaier. Die Firma betreibt im tunesischen Sousse eine Fabrik mit 7000 Mitarbeitern. Tunesische Beschäftigte, die auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen der Arbeit fern geblieben waren, kämen wieder zur Arbeit. Doch noch immer seien öffentliche Sicherheitskräfte im Einsatz und sorgten dafür, dass "wir normale Abläufe aufrecht erhalten können".

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SZ vom 29.01.2011
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