Süddeutsche Zeitung

Pipers Welt:Enteignen

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Die Linke in Berlin will über ein Volksbegehren die Vergesellschaftung der großen Wohnungsunternehmen erzwingen. Die Initiative erinnert sehr an die alte DDR. Die Mieten waren so niedrig, dass für die Modernisierung kein Geld übrig war.

Von Nikolaus Piper

Endgültig gelöst werde die Wohnungsfrage erst nach "Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise", schrieb Friedrich Engels vor 147 Jahre in der Zeitung Volksstaat. Der sozialistische Urahn machte sich damit über all die Sozialreformer lustig, die damals Mustersiedlungen für Arbeiter planten und bauten. Missstände beseitigen zu wollen und den Kapitalismus beizubehalten, sei Unfug, meinte er. Kurzfristig sei der Wohnungsnot abzuhelfen "durch Expropriation eines Teils der den besitzenden Klassen gehörenden Luxuswohnungen und durch Bequartierung des übrigen Teils". Also durch Verteilung der Bevölkerung auf den vorhandenen Wohnraum.

Anders als zu Engels Zeiten weiß man heute ziemlich genau, wie elend die Versorgung mit Wohnungen im Sozialismus war. Die DDR lieferte da reichlich Anschauungsmaterial, in Marzahn, Quedlinburg und anderswo. Angesichts der heutigen Explosion der Mieten in Deutschland allerdings verblasst die Erinnerung an das Plattenbau-Regime der SED, und zwar so sehr, dass viele Deutsche wie einst Engels glauben, man müsse nur den Kapitalismus abschaffen, und schon werde es bezahlbaren Wohnraum für alle geben.

Nur so ist jedenfalls die große Sympathie zu erklären, auf die in Berlin das geplante Volksbegehren "Deutsche Wohnen Enteignen" stößt, und zwar weit über den Kreis der Initiatoren aus der Linkspartei, der Interventionistischen Linken und anderer Gruppen hinaus. Nach einer Umfrage vom Januar halten es 54 Prozent der Berlinerinnen und Berliner für richtig, Unternehmen mit einem Bestand von mehr als 3000 Wohnungen - und besonders die Deutsche Wohnen SE - zu "vergesellschaften". Bisher ging die Debatte meist um die Frage, ob das Grundgesetz so eine Großenteignung überhaupt zulässt. Die Antwort lautet: Wahrscheinlich ja, wenn man den Artikel 15 über das Gemeineigentum an Grund und Boden sehr großzügig auslegt. Schließlich ist das Grundgesetz hinsichtlich der Wirtschaftsordnung neutral, schlechte Wirtschaftspolitik ist nicht verboten.

Umso wichtiger ist es, ökonomische Fragen zu stellen. Zum Beispiel diese: Was geschieht eigentlich mit den Hunderttausenden bisher privater Wohnungen, nachdem sie "vergesellschaftet" wurden? Eine Antwort geben die "inhaltlichen Grundlagen unserer Arbeit", die die Initiatoren des Volksbegehrens auf ihrer Website veröffentlichen. Danach soll der Wohnraum in eine Anstalt des Öffentlichen Rechts (AöR) eingebracht werden. Deren Aufgabe ist "die Versorgung der Stadtbevölkerung mit Wohnraum zu leistbaren Mieten". Sie darf keine "Gewinnerzielungsabsicht" verfolgen. Worum es aber wirklich geht, zeigt der Verwaltungsrat, der die AöR führen soll. Er wird, so die Initiatoren, aus fünf Vertretern der Mieter bestehen, vier Vertretern der Beschäftigten, vier Vertretern der "Stadtgesellschaft, gewählt von allen in Berlin gemeldeten Bewohner*innen gleich welcher Staatsangehörigkeit" und je einem Vertreter des Finanz- und des Stadtentwicklungssenators. Die Mieter und die "Stadtgesellschaft" sind also immer in der Mehrheit, der demokratisch gewählte Senat, der im Auftrag der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler das Geld beschafft, wäre an den Katzentisch verbannt. Die "Vergesellschaftung" ähnelte somit eher einer Reprivatisierung. Die Verfügungsgewalt über die Wohnungen ginge von den Kapitaleignern auf Mieter und Bürgerinitiativen über. Und zwar auf die jetzigen Mieter. Die Einschränkung ist wichtig, denn Leidtragende des neuen Regimes wären all jene, die eine Mietwohnung suchen und keine bekommen, weil die AöR keine baut. Wohl wahr, die Initiatoren wollen es zulassen, dass "eventuelle Überschüsse" auch für Neubauten verwendet werden. Aber wie mag dieser Verwaltungsrat wohl entscheiden, wenn die Alternative heißt: neu bauen oder Mieten niedrig halten? Es wird sein wie in allen sozialistischen Systemen: Die Insider setzen sich durch.

Sämtliche Erfolge im Schuldenabbau würden durch Entschädigungen aufgezehrt

Die Enteignung käme außerdem einem Versuch gleich, in einer wachsenden Stadt die Mieten niedrig zuhalten, ohne neue Wohnungen zu bauen. Die Analogie zur alten DDR liegt durchaus nahe. Unter der SED-Herrschaft zahlten Mieter im Durchschnitt wirklich nur vier Prozent ihrer Einkommen für die Wohnung. Der Preis dieser Sozialleistung aber war der Verzicht auf Modernisierung und der Verfall der Altbausubstanz. Weiß noch jemand, wie der Prenzlauer Berg 1989 aussah?

Und dann die Frage der Entschädigung der Alteigentümer. Diese müsse "deutlich unter dem Marktwert" bleiben, verlangen die Leute des Volksbegehrens. Doch darüber werden nicht Politiker befinden, sondern Richter, weshalb es über die Kosten keine seriösen Schätzungen gibt. Man kann aber anders herum rechnen: Berlin hat seit 2011 Schulden abgebaut, von 62,9 auf heute 57,6 Milliarden Euro. Es wären also lächerliche fünf Milliarden Euro Entschädigung nötig, um alle bisherigen Fortschritte beim Schuldenabbau zunichte zu machen. Realistisch wäre es im übrigen, nicht von fünf, sondern von 20 oder 30 Milliarden auszugehen - Geld, von dem noch keine einzige Wohnung gebaut wäre.

Explodierende Mieten haben meist etwas damit zu tun, dass die Zahl der Wohnungen nicht so schnell wachsen kann, wie die der Menschen, die in einer Stadt wohnen wollen. Das ist heute so (2017 nahm die Bevölkerung Berlins netto um 38 000 Menschen zu). Das war auch so zu Engels' Zeiten. Der Urahn der Sozialisten hatte dazu eine sehr dezidierte Meinung. "Die Wohnungsfrage lösen (zu) wollen und die modernen großen Städte forterhalten (zu) wollen, ist ein Widersinn", schrieb er. Engels wollte die Not in der Arbeiterstadt Manchester durch die Abschaffung von Manchester abschaffen. Vielleicht dachte er dabei auch an Berlin.

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SZ vom 15.03.2019
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