Süddeutsche Zeitung

Pipers Welt:Des Teufels Derivate

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Die katholische Kirche verdammt spekulative Finanzprodukte als unmoralisch. Der katholische Chef der amerikanischen Regulierungsbehörde widerspricht. Eine ungewöhnliche Debatte.

Von Nikolaus Piper

Seit Generationen ermahnen Eltern ihre Kinder: "Mit Essen spielt man nicht!" Was bedeutet: auf dem Teller keine Landschaften aus Kartoffelpüree modellieren, aus Brot keine Kügelchen formen, Spinat nicht an die Wand werfen. Die Mahnung ist durchaus zeitgemäß. Früher, nach dem Krieg also, wusste man noch, was Mangel ist. Heute dagegen ist eine Tiefkühlpizza im Supermarkt für 1,99 Euro zu haben; da lernen Kinder den Wert des Essens nicht von selbst.

"Mit Essen spielt man nicht" - die Mahnung richtet sich gelegentlich auch an Erwachsene, dann jedoch mit etwas anderer Bedeutung. Kirchen und Dritte-Welt-Gruppen tun damit ihre Überzeugung kund, dass Spekulation mit Agrarrohstoffen verwerflich ist, weil die Gier der Spekulanten die Preise treibt und die Armen in Not bringt. Als in den Jahren 2012 und 2013 Mais, Weizen, Reis und Soja extrem teuer wurden und in einigen Ländern Hungersnöte drohten, hatte die Nichtregierungsorganisation Oxfam viel Erfolg mit einer Kampagne unter dieser Parole. Die Spekulanten betrieben das "Geschäft mit dem Hunger", hieß es damals. Zwar ließ sich die Teuerung recht einfach erklären: schlechte Ernten in Australien und Amerika, hohe Nachfrage aus China und die fatale Politik der amerikanischen Regierung, die Verarbeitung von Mais zu Biodiesel zu fördern. Trotzdem hielt sich die Geschichte von den bösen Spekulanten, auch nach 2014, als die Agrarpreise dank guter Ernten wieder gefallen waren. "Mit Essen zockt man nicht", hieß es in einem Fürbittengebet "für gerechten Welthandel", den die evangelische Hilfsorganisation Brot für die Welt 2017 veröffentlichte.

Für viele Christen - Protestanten wie Katholiken - ist Spekulation schlicht Sünde. Deshalb betrachten sie die Produkte der modernen Finanzwelt, wie Futures, Optionen, Leerverkäufe und Credit Default Swaps (CDS), mit Misstrauen und Abscheu.

Aber sind Derivate wirklich so unmoralisch? Zu der Frage gibt es jetzt einen bemerkenswerten Disput. Die Glaubenskongregation des Vatikans hatte, zusammen mit dem katholischen Amt für ganzheitliche Entwicklung und autorisiert von Papst Franziskus, am 17. Mai das Dokument " Oeconomicae et pecuniariae Quaestiones" ("Erwägungen zu einer ethischen Unterscheidung bezüglich einiger Aspekte des gegenwärtigen Finanzwirtschaftssystems") vorgelegt. Es ist im Kern eine Fundamentalkritik der modernen Finanzprodukte. CDS, also Ausfallversicherungen für Anleihen, seien "ökonomischer Kannibalismus", Finanzderivate "eine Art Zeitbombe, die jederzeit explodieren kann".

Auf das Papier aus Rom antwortete jetzt, mit zwei Monaten Verzögerung, ein Amerikaner namens Christopher Giancarlo. Er ist praktizierender Katholik, vor allem aber ist er Chef der U .S. Commodity Futures Trading Commission (CFTC), einer Behörde, die genau das reguliert, was die Kirche verdammt: Derivate. Giancarlo ist dabei in einer interessanten Position: Einerseits hat seine Behörde nach 2008 viel Macht bekommen, um eine Wiederholung der Finanzkrise zu verhindern. Andererseits soll er nach dem Willen von Präsident Donald Trump die Finanzmärkte wieder deregulieren. Bisher trat Giancarlo als Pragmatiker auf, der Regeln vereinfachen, aber nicht abschaffen will. Wie die Sache ausgeht, ist durchaus offen, seine Auseinandersetzung mit dem Vatikan über Moral und Derivate allerdings ist ein schönes Stück Zeitgeschichte.

Spekulanten helfen auch, extreme Preisschwankungen auszugleichen

Jedenfalls antwortete Giancarlo dem Vatikan am 19. Juli in einem achtseitigen Brief. Mitunterzeichner ist der Chefökonom der CFTC, Bruce Tuckman. "Wir sind Finanzfachleute, die sich bemühen, ein moralisches Leben zu führen", schreiben die beiden in gebotener Demut und loben das Dokument aus dem Vatikan als "wichtig und mitfühlend". Trotzdem sei es notwendig, Derivate, und besonders CDS, gegen die Kritik aus Rom zu verteidigen.

Derivate, so hatte die Kongregation befunden, würden "unter dem Aspekt einer die Wahrheit und das Gemeinwohl achtenden Ethik immer unannehmbarer". Nein, im Gegenteil, schreiben Giancarlo und Tuckman, Finanzmarktwetten nützten "besonders den Hungrigsten und Verletzlichsten auf der Welt", weil sie extreme Preisschwankungen ausglichen. Ähnlich positiv wirkten Geschäfte, bei denen ein Spekulant mittels CDS auf den Bankrott eines Landes wettet, was der Vatikan als "extrem unmoralisch" verdammt. Solche Wetten könnten "ganzen Ländern und Millionen von Familien großen Schaden zufügen". Falsch, schreibt Giancarlo: Dadurch, dass Investoren mit solchen Wetten ihr Risiko absichern, sinken die Kreditkosten, gerade für arme Länder. Man könnte seinen Brief so zusammenfassen: Wenn Spekulanten auf einem klar regulierten Markt spielen, egal ob mit Essen oder mit Staatsschulden, erweisen sie der Gemeinschaft einen Dienst.

Das Gespräch zwischen Finanzleuten und Moralisten ist deshalb so schwierig, weil man bei Finanzwetten immer beide Seiten sehen muss und vieles gegen die Intuition läuft. Die meisten Wetten sind in ihrem ökonomischen Kern Versicherungen, also Wetten auf ein Ereignis, von dem man möchte, dass es nicht eintritt. Wenn sich ein Farmer vor dem Verfall der Maispreise schützen will, dann wettet er auf genau das: sinkende Maispreise. Das funktioniert aber nur, wenn es jemanden gibt, der dagegenhält und auf steigende Preise wettet. Es ist wie bei Risikolebensversicherungen. Schließt jemand eine Police ab, dann wettet er theoretisch auf seinen frühen Tod, ein Ereignis, das er aber unter allen Umständen vermeiden möchte. Und sollte es doch jemanden geben, der am frühen Tod des Versicherungsnehmers Interesse haben könnte, dann ist das kein Fall für Ökonomen oder Theologen, sondern für die Polizei.

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SZ vom 03.08.2018
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