Süddeutsche Zeitung

Pipers Welt:Der fünfte Mann

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Es gibt Ärger um den Ökonomen, den die Gewerkschaften für den Sachverständigenrat der fünf Weisen vorschlagen wollen - er sei nicht qualifiziert genug. Ein Blick in die Geschichte hilft, den Konflikt zu verstehen.

Von Nikolaus Piper

Der Ton in der Republik wird rauer. Das merkt man auch an Stellen, an denen man es eigentlich nicht vermuten würde. Beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage etwa. Ein ungewöhnlicher Vorgang macht dort Schlagzeilen: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) schlug Achim Truger, einen relativ unbekannten Professor von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht, als fünften Mann im Rat der fünf Weisen vor. Truger soll sein Amt am 1. März antreten, wenn die Amtszeit des Würzburger Professors Peter Bofinger endet. Als die Personalie bekannt wurde, erhob sich ein Proteststurm. Die Wirtschaftsweisen Isabel Schnabel und Lars Feld stellten sogar die wissenschaftliche Qualifikation Trugers infrage.

Ganz altmodisch formuliert: So etwas hätte es früher nicht gegeben. Weder hätte der DGB vorab wissen lassen, wen er für den Rat vorschlägt, noch hätten andere Ratsmitglieder sich öffentlich über einen potenziellen Kollegen geäußert. Irgendetwas muss sich geändert haben. Aber was?

Der deutsche Sachverständigenrat ist ein typisches Kind des rheinischen Kapitalismus. Er ist, anders als der Rat der Wirtschaftsberater des amerikanischen Präsidenten, unabhängig und nur der Wissenschaft verpflichtet. Gleichzeitig soll er in der Gesellschaft verankert sein, deshalb wird je ein Weiser auf Vorschlag der Arbeitgeber und der Gewerkschaften benannt. Dieses Vorschlagsrecht steht in keinem Gesetz, es wird einfach praktiziert, auf die rheinische Art eben.

Erfunden hat den Rat Ludwig Erhard. Der erste Bundeswirtschaftsminister setzte ihn gegen den Widerstand von Kanzler Konrad Adenauer durch. Der erste Rat nahm seine Arbeit 1964 auf. Der Mann des DGB war damals Harald Koch, seines Zeichens Jurist und Politiker, aber kein Ökonom. Koch saß zeitweise für die SPD im Bundestag und war Arbeitsdirektor im Dortmunder Stahlunternehmen Hoesch. Man hätte erwarten können, dass es bei diesem Hintergrund zu heftigem Streit mit den anderen vier Weisen kommen würde. Schließlich hatte Erhard den Rat auch deshalb ins Leben gerufen, um Unterstützung für unpopuläre Maßnahmen zu bekommen. Er verlangte damals von den Bundesbürgern "Maßhalten", um den Wirtschaftswunder-Boom nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Und Maßhalten bedeutete vor allem Lohnmäßigung.

Doch wider Erwarten gab es über das Lohnthema keinerlei Streit. Die Konflikte traten woanders auf, und auch nicht innerhalb des Rates. Ende der 1960er hatte die Bundesrepublik ein großes Streitthema: die Aufwertung der D-Mark (Wechselkurse wurden damals noch nicht auf dem Devisenmarkt ermittelt). Der Sachverständigenrat war klar für eine Aufwertung. Die Weisen hielten sie für notwendig, um eine drohende Inflation abzuwehren, ebenso sahen es SPD und Gewerkschaften, die sich um die Kaufkraft der Arbeitnehmer sorgten. Gegen die Aufwertung waren in ihrer Mehrheit CDU und CSU, außerdem der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), weil sie Gewinne und Arbeitsplätze im Export nicht gefährden wollten. Zum Eklat kam es am 17. Mai 1969. Der damalige Finanzminister Franz Josef Strauß warf den fünf Weisen wegen ihres Votums für die Aufwertung "terroristische Beeinflussung der Öffentlichkeit" vor, zwei Tage später trat Harald Koch aus Protest zurück.

Der Mann auf dem DGB-Ticket kommt aus dem gewerkschaftlichen Umfeld

Die Nähe der Gewerkschaften zum Mainstream der Ökonomie ging im Laufe der 1970er-Jahre verloren. Als die Bundesrepublik nach der Ölkrise 1973/74 plötzlich mit Massenarbeitslosigkeit zu kämpfen hatte, leitete die Mehrheit des Rates eine Wende ein. Vier Weise empfahlen den Übergang von der Steuerung der Nachfrage zur "Angebotspolitik", also zu Liberalisierung, Flexibilisierung und Entbürokratisierung. Heute nennt man das "neoliberal". Die Gewerkschaften empfanden den neuen Kurs als Angriff auf ihre Interessen. Seither gehört es zur Normalität des Rates, dass der Mann auf dem DGB-Ticket (eine Frau gab es bisher nicht) seine Opposition durch ein Sondervotum deutlich macht. So hielt es etwa Gerhard Scherhorn von der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg, als er im Jahresgutachten 1977/78 vor der Überschätzung der Angebotspolitik warnte. Und so hielt es auch der 2019 ausscheidende Peter Bofinger.

Kaum beachtet wird dabei, dass die vom DGB vorgeschlagenen Ökonomen zwar oft in Opposition zur Ratsmehrheit standen, dass aber fast alle eine normale wissenschaftliche Karriere hinter sich hatten und nicht aus dem institutionellen Umfeld des DGB stammten. Peter Bofinger etwa ist Geldtheoretiker und hat überhaupt nichts mit Gewerkschaftsthemen zu tun. Er wurde bekannt, weil er im Gegensatz zur Mehrheit der Zunft den Euro von Anfang an unterstützte. Interessant ist auch der Fall Wolfgang Franz. Der langjährige Präsident des Mannheimer ZEW saß eine Amtsperiode lang für die Gewerkschaften im Rat, die nächste für die Arbeitgeber.

Und hier muss man zum Fall Truger zurückkommen. Anders als Bofinger, Franz oder Scherhorn hat Truger im gewerkschaftsnahen Umfeld Karriere gemacht, er arbeitete viele Jahre für das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung und ist seit 2017: Fellow des Forums für Makroökonomie und Makroökonomische Politik (FMM) dieser Stiftung. Außerdem sitzt er im Beirat von Attac. Das ist so, als würden die Arbeitgeber jemanden nominieren, der beim BDI und beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) aufgestiegen ist. Es fiele schwer, ihn nicht als reinen Interessenvertreter zu sehen. Damit täte man ihm vielleicht unrecht (sowohl aus dem IMK als auch aus dem IW kommen immer wieder gute Studien). Aber er hätte einen Makel, den er aus eigener Kraft nur schwer wieder los würde.

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SZ vom 12.10.2018
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