Süddeutsche Zeitung

Ökostrom für Wohnblocks:Unter einem Dach

Lesezeit: 4 min

Eigener Solarstrom war bisher nur etwas für Hausbesitzer. Die meisten Deutschen leben aber in Wohnungen - und einige haben begonnen, sich selbst zu versorgen.

Von Varinia Bernau und Pia Ratzesberger, Düsseldorf/München

Der Aufzug öffnet seine Türen. Stefan Krieger, 46, steigt ein, streift mit dem Schuh über die schwarze Matte. So viele Fusseln, ein Unding sei das. Er schüttelt den Kopf. Für den Teppich im Fahrstuhl hatten sie damals schwarzen Kokos gewählt. Keine gute Entscheidung im Nachhinein, den Dreck bekomme man nicht mehr raus. Aber so sei das eben bei 26 Bauherren, die alles gemeinsam beschließen. Nicht immer kommt man zum besten Ergebnis. Die Aufzugtüren öffnen sich wieder, oberstes Stockwerk. Das auf dem Dach, sagt Krieger, zieht die Luke auf und die metallene Leiter hinunter, das aber sei eine ziemlich gute gemeinsame Entscheidung gewesen.

Hier liegt der Strom von Krieger und den anderen Eigentümern im Kiesbett. Dutzende Solarmodule, für die sie keinen Cent gezahlt haben. Die Münchens Sonne aufsaugen und die Energie direkt in die Wohnungen leiten. 35 Prozent des Ökostroms in dem weißen Neubau kommen direkt vom Dach. Den Rest müssen sie zukaufen, weil auch in München der Himmel nicht immer hell ist.

Sich selbst mit Ökostrom zu versorgen, war lange Zeit vor allem etwas für Hausbesitzer. Doch das ändert sich gerade: Im vergangenen Jahr hat die Regierung das Erneuerbare-Energien-Gesetz überarbeitet und damit die Voraussetzung geschaffen, dass sich in Zukunft mehr Menschen an solche Projekte wagen wie Stefan Krieger. Mieter und Eigentümer von Wohnungen, die an Ort und Stelle erzeugten Strom nutzen, sollen ähnliche Vorteile genießen wie Hausbesitzer, die sich eine Solaranlage aufs eigene Dach gesetzt haben. Die nämlich zahlen in der Regel nicht die volle EEG-Umlage von derzeit 6,88 Cent pro Kilowattstunde, sondern nur 40 Prozent davon. Auch weitere Kosten, die bei anderen auf der Stromrechnung stehen, fallen bei ihnen niedriger aus - etwa die Gebühr für den Transport des Stroms.

Er sei kein fundamentalistischer Öko, sagt Krieger. Er würde eher sagen, er sei pragmatischer Ökologe. Er rechne eben. Deshalb habe er zum Beispiel auch kein Auto. Lohne sich nicht in München. Gerechnet hat Krieger also auch beim Strom. Für den vom eigenen Dach hier im Norden der Stadt zahlt er in seiner Wohnung von knapp 100 Quadratmetern, in der er mit Frau und Tochter lebt, etwa 57 Euro im Monat. Das geht, weil Naturstrom, ein Anbieter von erneuerbaren Energien, die Solaranlage auf eigene Kosten betreibt. Und weil Netzentgelte nur dann fällig werden, wenn Ökostrom aus dem Netz zugeschaltet werden muss. Etwa 80 Prozent des erzeugten Stroms werden direkt im Haus genutzt, der Rest fließt ins Netz. Das liegt daran, dass es Zeiten mit viel Sonnenschein gibt, in denen mehr Strom produziert als direkt verbraucht wird.

Mehr als 40 Millionen Deutsche leben in Wohnungen. Deshalb könnten solche neuen Modelle wie das in München helfen, den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlenstoffdioxid drastisch zu senken. Das Marktforschungsunternehmen Trendresearch hat errechnet, dass sich etwa jede fünfte Mietwohnung in Deutschland, also insgesamt 1,5 Millionen, eignen würde - weil im Keller genug Platz für ein Blockheizkraftwerk ist oder sich eine Solaranlage auf dem Dach installieren ließe. "In der Immobilienwirtschaft treffen wir durchaus einen Nerv", sagt Tim Meyer, der bei Naturstrom das Geschäft mit dezentraler Energieversorgung leitet. Für Vermieter ist das auch gute Werbung, sie können eine neue Geschichte erzählen: von Strom, der nicht nur umweltfreundlich, sondern auch lokal erzeugt und günstiger als in der Grundversorgung ist, bei der ein deutscher Haushalt mit vier Personen derzeit etwa 30 Cent für die Kilowattstunde zahlt.

Neben Ökostromanbietern wie Naturstrom, Polarstern oder Lichtblick haben auch einzelne Stadtwerke und Wohnungsbaugesellschaften Projekte wie das in München realisiert. Im Schwarzwald und am Bodensee, aber auch in Hamburg, Berlin und Dortmund. Nordrhein-Westfalen und Thüringen haben Förderprogramme aufgelegt, um aus solchen Pilotprojekten Erfahrungen zu sammeln.

Dass noch nicht viele den Mieterstrom nutzen, liegt wohl vor allem daran, dass Technik, rechtliche Regelungen und Abrechnung komplizierter sind: Beim Eigenheim gibt es nur eine Partei, die den Strom erzeugt und verbraucht, in einem Wohnblock aber sind es schnell mal mehr als 30.

Um Strom an seine Mieter verkaufen zu können, muss ein Vermieter eigens ein Gewerbe anmelden und all die Pflichten eines etablierten Energieanbieters übernehmen - etwa die Stromversorgung auch dann sicherstellen, wenn die Sonne nicht scheint.

In den bisherigen Mieterstromprojekten arbeiten die Hausgemeinschaften deshalb meist mit Spezialisten zusammen, die sich um die technische Abwicklung und den Vertrieb des Stroms kümmern. In Kriegers Haus im Münchner Norden erledigt dies das Düsseldorfer Unternehmen Naturstrom, mit der die meisten der Bewohner einen Vertrag abgeschlossen haben. Wohl auch, weil die Firma jedem Mietvertrag direkt ein Angebot beilegt. Verpflichten aber könne man niemanden, wer in drei Jahren zu den Stadtwerken wechseln wolle, den könne man nicht aufhalten, heißt es bei Naturstrom. Hätte niemand mitgemacht, wäre man trotz der Solarmodule ungefähr mit null rausgegangen.

Eine gute Gelegenheit bietet sich oft dann, wenn ganz neu gebaut oder renoviert wird

Haus und Grund, Deutschlands größte Interessensvertretung von Hauseigentümern, plädiert sogar dafür, es Vermietern noch etwas einfacher zu machen: nämlich an Ort und Stelle erzeugten Strom wie eine Heizung im Keller über die Betriebskosten abzurechnen. Viele Mietshäuser sind in die Jahre gekommen und müssen ohnehin saniert werden. Wer über ein neues Dach, eine bessere Dämmung oder eine modernere Heizung nachdenke, der rechne zumeist auch mal Solaranlagen auf dem Dach oder ein Blockheizkraftwerk im Keller durch. Nur könne er sich bislang nicht sicher sein, den damit erzeugten Strom auch wirklich an seine Mieter bringen zu können, heißt es bei Haus und Grund.

Stefan Krieger arbeitet selbst bei einer Firma, die solch gemeinschaftliche Wohn- und Bauprojekte betreut, dieses Mal ist er privat Teil seines eigenen Projekts. Auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne entsteht hier im Münchner Norden ein ganzes Wohnquartier. Noch immer graben Bagger und drehen sich Kräne.

Die meisten Leute aus Kriegers Bauherrengemeinschaft wohnen selbst in den neuen Wohnungen. Viele Akademiker, viele Familien, die meisten Leute zwischen 30 und 40 Jahre alt. Vor den Haustüren parken Bobbycars und Fahrradanhänger.

Der Ökostromanbieter Lichtblick hat in Berlin-Hellersdorf zwar auch schon mal einen alten Plattenbau mit Solarpaneelen ausgestattet. Bisher aber sind die meisten Mieterstromprojekte solche wie das im Münchner Norden. Wo ohnehin alles neu entsteht, haben es eben auch neue Ideen etwas leichter.

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Quelle:
SZ vom 21.01.2017
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