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Neuberechnung des BIP in Afrika:Abuja schlägt Pretoria

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"Nollywood" sei Dank: Nigeria rechnet nun auch Branchen wie die Filmindustrie in die Wirtschaftsleistung ein - und könnte auf einen Schlag Südafrika als größte Volkswirtschaft Afrikas ablösen.

Es ist ein historischer Moment, zumindest auf dem Papier. Nigeria könnte Südafrika als größte Volkswirtschaft Afrikas ablösen. Das liegt daran, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) neu berechnet wird, wie Nigerias Statistikamt ankündigte. Die Ergebnisse will es am Sonntag veröffentlichen.

Während Industriestaaten wie Deutschland alle paar Jahre ihre Statistik an das veränderte Produktions- und Konsumverhalten anpassen, ist das in Nigeria seit 1990 nicht passiert. Internet- und Handyumsätze sowie die als "Nollywood" bekannte Filmindustrie wurden daher nicht angemessen berücksichtigt. Das Land produziert jedes Jahr mehr Filme als die USA, nur aus Indien kommen mehr.

In Ghana erhöhte sich bei einer ähnlichen Reform die Wirtschaftsleistung auf einen Schlag um 60 Prozent. Nigeria reicht schon ein Plus von etwa 25 Prozent, um Südafrika zu überholen. Nach der bisherigen Berechnungsweise lag das BIP 2013 bei 292 Milliarden Dollar, in Südafrika bei 353 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Das deutsche BIP beträgt das Zehnfache - mehr als 3,5 Billionen Dollar.

Staaten passen die Berechnungen ihrer Wirtschaftsstatistik immer wieder an. Auch in Europa laufen derzeit die Anpassungen, weshalb Deutschland künftig Schätzungen der Wirtschaftsleistung von Drogendealern und Zigarettenschmugglern mit einbeziehen muss.

Durch den Aufstieg dürfte Nigeria auch attraktiver für ausländische Investoren werden. Schon jetzt liegt der Schuldenstand bei weniger als 20 Prozent der Wirtschaftsleistung, in Deutschland sind es rund 78 Prozent. Durch die Neuberechnung sinkt die Quote weiter, ein Zahlungsausfall wird noch unwahrscheinlicher - und das ist für Investoren besonders wichtig, wenn sie Geld an Staaten oder Unternehmen verleihen.

Wachsendes Interesse von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen könnte Nigeria helfen, seine Abhängigkeit von der Ölproduktion verringern. In Nigeria sind schon die großen Konsumgüterhersteller vertreten - von Nestle über Heineken und Cadbury bis hin zu Unilever, dazu große Produzenten von Baumaterialien wie Lafarge und Dangote Cement.

Doch das Land kämpft auch mit großen Problemen: Telefon- und Internetverbindungen sind miserabel, Straßen verstopft, Dieselgeneratoren nach wie vor die wichtigste Stromquelle. Das größte Problem aber wird von den beeindruckenden gesamtwirtschaftlichen Zahlen übertüncht: Der Boom des Landes kommt bei den unteren Schichten nicht an. 2010 lebten 61 Prozent der Nigerianer von weniger als einem Dollar am Tag, deutlich mehr als noch 2004. Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit innerhalb eines Landes misst, ist im vergangenen Jahrzehnt deutlich angestiegen. Die steigende Wirtschaftsleistung bedeutet also nicht automatisch weniger Arbeitslosigkeit und mehr Bildung.

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SZ.de/Reuters/jab
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