Süddeutsche Zeitung

Netzneutralität:Investitionen statt Überholspur

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Kommentar von Johannes Boie

Leider sind die komplizierten Dinge im Leben oft die wichtigsten. In Deutschland und Europa scheint man diese Binse bei der Debatte um die Netzneutralität vergessen zu haben. Die Amerikaner haben das nicht. Wenn jetzt der Chef der fürs Internet zuständigen amerikanischen Regulierungsbehörde FCC, Tom Wheeler, sagt, er wolle, dass das Internet "heute und künftig für alle Amerikaner" offen zugänglich bleibt, dann schwingt da nicht umsonst das exakt richtige Maß an Pathos mit.

Denn darum geht es: Wollen wir ein Internet, in dem Provider wie die Telekom festlegen, welche Daten wie schnell beim Kunden ankommen? Die Firmen könnten dann nicht nur von den Nutzern Geld verlangen, sondern auch - für zuverlässige und schnelle Lieferung - von jenen Firmen, die Daten durchs Internet zu eben diesen Nutzern schicken. Das wäre das Ende der Netzneutralität. Wird sie hingegen gestärkt, müssen die Telekommunikationsfirmen alle Daten gleich schnell befördern. In den USA kümmert sich um dieses Thema Präsident Obama. Die Debatte wird auf den Titelseiten der Nachrichtenportale geführt. In Deutschland ist der Streit eher ein Randphänomen für Nerds, Netzaktivisten und Netzpolitiker oder solche, die sich für welche halten. Wie schade, wie gefährlich.

"Daten", das ist ein generischer, ein langweiliger Begriff. Es hilft, sich die Sache vorzustellen. Betroffen wäre - im Sinn des Wortes - alles: Filme, Texte, Videos, Mails, Wikipedia, medizinische Übertragungen, Twitter, Nachrichten, Fotografien, Facebook. Es geht folglich bei der Frage, wer für die Übertragung welcher Inhalte bezahlt, auch um Meinungsfreiheit und um wahnsinnig viel Geld. Das Internet, wie wir es kennen, ist der größte Beschleuniger wirtschaftlicher Innovation seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte. Sollte es jetzt denjenigen überlassen werden, die genügend Geld haben, um ihre Daten zum Nutzer zu schicken? Was macht dann ein neues Start-up, das noch nicht viel verdient?

Das Netz in Deutschland ist alt und schwach

Natürlich sind die Beteuerungen der Telekommunikationskonzerne groß. Wer ihren Sprechern zuhört, erfährt, dass man eigentlich nur sicherstellen wolle, dass die Videoübertragung einer lebensrettenden Operation nicht ins Ruckeln gerate, weil sich jemand anderes gerade einen Spielfilm aus dem Netz zieht.

Die Wahrheit sieht anders aus: Filme geraten ins Ruckeln, weil das Netz in Deutschland alt und schwach ist. Die Telekommunikationskonzerne müssen es modernisieren. Das ist sehr teuer. Leider waren die Konzerne bei ihrer Finanzplanung kurzsichtig, sodass heute die meisten ihrer Kunden eine günstige Flatrate pro Monat für den Internetanschluss zu Hause zahlen. Das heißt: Die Konzerne müssten mehr Geld vom Kunden verlangen, aber kein Verkäufer gibt gerne zu, dass die Zukunft für die Kunden teurer werden wird als die Gegenwart. Deshalb versucht allen voran die Telekom am Prinzip ihres Produktes zu rütteln, dem Netz. Sie bietet sogar selbst Filme übers Netz an - einem Straßenbesitzer gleich, der die linke Spur frei hält für seine eigenen Lkws und solche, die Maut entrichten.

Nun ist die Marktwirtschaft eine hübsche Sache, und die Möglichkeit der Konzerne, ihr Angebot nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, sollte man nicht ohne Not einschränken. Leider ist die Not in diesem Fall aber sehr groß. Um es mit den Worten von Tom Wheeler zu sagen, dessen Vorschlag auch im Detail von fairen Regelungen für alle Beteiligten gekennzeichnet ist: "Mein Vorschlag sichert das Recht der Nutzer, im Netz überall hinzukommen, wo sie hinwollen, und zwar dann, wenn sie es wollen; ebenso wie das Recht innovativer Tech-Firmen, Angebote zu schaffen, ohne eine Erlaubnis einholen zu müssen."

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Quelle:
SZ vom 07.02.2015
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