Süddeutsche Zeitung

Medienschnorrer:Warum Streaminganbieter kaum gegen Schwarznutzer vorgehen

Lesezeit: 3 min

Von Christoph Gurk, München

Fernsehen in Deutschland, das sah mal so aus: Drei Programme und ein Testbild irgendwann um Mitternacht. Kaum zu glauben, dass man nur 40 Jahre zurückgehen muss, um in dieser Medienrealität zu landen. Von der heutigen fühlt sie sich jedenfalls Lichtjahre entfernt an. Etwa 400 öffentliche und private TV-Sender gibt es derzeit in Deutschland, sie senden rund um die Uhr, dazu kommen noch allerlei Internetsender, Youtube und natürlich ein halbes Dutzend Streamingdienste, angefangen bei Sky Go über Amazon Prime, Maxdome und natürlich Netflix.

Sie alle bieten unterschiedliches Programm, oft mit eigenen Produktionen, darunter preisgekrönte Serien und Filme, die Oscars gewinnen. Dazu übertragen sie wichtige Fußballspiele oder streamen die Lieblingsserie der Kinder wann immer die sie sehen wollen. Weil aber kaum ein Anbieter alles bietet, reicht es heute oft nicht mehr, einfach nur einen Dienst zu abonnieren. Deshalb helfen sich viele Nutzer mit einem einfachen Trick, um Geld zu sparen: Sie teilen sich die Zugänge, mit Freunden, Verwandten, dem Mitbewohner oder dem Nachbarn.

24 Millionen Menschen weltweit sollen Netflix nutzen, ohne zu bezahlen

"Subscription mooching" heißt der mehr oder minder offizielle Fachbegriff hierfür, zu Deutsch in etwa "Konto schnorren". Das mag schnodderig daherkommen, tatsächlich aber ist die Praxis nicht nur weit verbreitet, sondern zunehmend auch ein Kostenfaktor für die Streaminganbieter. Allein Netflix dürften weltweit etwa 24 Millionen Menschen über einen erschnorrten Zugang sehen, schätzt der Blog Cord Cutting, der sich mit Videostreamingdiensten beschäftigt.

Für eine gerade veröffentlichte Studie hat er mehr als 1000 Nutzer der Dienste Netflix, Amazon Prime und dem in den USA populären Hulu befragt. Einer von fünf Nutzern zahlte dabei im Durchschnitt nicht für den Account, mit dem er Filme und Serien sah. Die Einnahmen, die allein Netflix dadurch entgehen, errechnet die Studie, liegen bei über 190 Millionen Dollar - pro Monat.

Geteilte Zugänge lassen sich leicht aufspüren

Rechtlich gesehen ist das Mitbenutzen fremder Accounts eine Grauzone. Einige Dienste erlauben die Weitergabe von Zugangsdaten grundsätzlich nicht. Sky zum Beispiel erklärt auf Anfrage: "Sky Abonnements sind den AGBs zufolge vertraglich auf jeweils einen Haushalt begrenzt. Das Teilen von Kundendaten verstößt gegen die AGBs von Sky".

Andere Dienste sind da kulanter, Netflix, zum Beispiel, aber auch der Musikstreamingdienst Spotify, bieten ihren Nutzern je nach Abo sogar an, mehrere Profile für unterschiedliche Nutzer anzulegen. Wer das Netflix Premium Abo wählt, kann zum Beispiel auf vier Geräten gleichzeitig Videos streamen. Allerdings steht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch, dass der Zugang nur an Mitglieder aus dem eigenen Haushalt weitergegeben werden darf. Anders gesagt: Wenn eine vierköpfige Familie in ihrem Reihenhaus gleichzeitig vier verschiedene Filme sieht, ist das in Ordnung, wenn die Jungs aus der Pokerrunde das Gleiche über die ganze Stadt verteilt tun, ist das nicht erlaubt.

Tatsächlich gibt es längst technische Anwendungen, um solche geteilten Zugänge aufzuspüren. Die Firma Synamedia aus den USA bietet Streamingdiensten einen Service an, bei dem eine künstliche Intelligenz nach zeitlichen und räumliche Auffälligkeiten im Nutzungsverhalten von Abonnenten sucht. Wenn über einen Zugang immer wieder gleichzeitig eine Serie in Flensburg und in Freiburg angesehen wird, dann klingeln die Alarmglocken bei dem Programm. Theoretisch könnten Streaminganbieter auffällige Nutzer abmahnen oder sperren, bei groben Verstößen wäre sogar eine Klage auf Schadenersatz möglich. Allerdings sind solche Fälle bislang nicht bekannt.

Denn auch wenn ihnen Millionen entgehen, haben viele Streaminganbieter im Moment noch kein Interesse daran, Nutzer zu vergraulen, selbst wenn sie ihren Service unerlaubt nutzen. Passwort teilen sei "kein Problem", sagte Reed Hastings, der Geschäftsführer von Netflix, schon 2016: "Wir lieben es, wenn Leute Netflix miteinander teilen". Der Markt ist hart umkämpft, jeder Zuschauer ist darum ein Gewinn, wer ein erschnorrtes Netflixpasswort hat, der zahlt zwar nicht, geht aber vielleicht auch nicht unbedingt zur Konkurrenz.

Das ist im Moment für viele Anbieter ein größerer Gewinn als die Abogebühren. Und am Ende, so die Hoffnung, kann man aus Mit-Schauern vielleicht auch vollwertige Kunden mit eigenem Konto machen. Fast 60 Prozent der Befragten gaben in der Studie von Cord Cutting zum Beispiel an, für einen Zugang zu bezahlen, würde Netflix die Kontrollen verschärfen.

Solche Sorgen scheinen aber erst mal unangebracht zu sein. Netflix geht stattdessen einen anderen Weg: Der Konzern erhöht die Preise, zunächst allerdings nur in den USA. Statt acht Dollar kostet das Einsteigerpaket dort künftig neun Dollar, das Standard- und das Premium-Abo werden zwei Dollar teurer und kosten dann 13 bzw. 16 Dollar. Nicht gerade billig, aber auch nicht gerade viel, vorausgesetzt man teilt sich die Kosten mit der ganzen Familie oder der WG.

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Quelle:
SZ vom 05.03.2019
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