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Nahaufnahme:Heimlicher Beobachter

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Das deutsche Start-up Adjust wertet Nutzerdaten in Apps aus. Unternehmen können so ermitteln, ob ihre Werbung erfolgreich ist. Nun expandieren die Berliner nach China.

Von Katharina Kutsche

Mehr als 7300 Kilometer Luftlinie ist Peking von Berlin entfernt. Das ist nicht nur eine große geografische Distanz, sondern bemisst auch die Länge einer wirtschaftlichen Einbahnstraße. Denn während chinesische Unternehmen in Deutschland und der Welt auf Einkaufstour sind, müssen ausländische Firmen in China hohe Hürden überwinden: Ohne Partner geht nichts, Übernahmen sind beinahe unmöglich. Da ist es schon bemerkenswert, dass einem deutschen Start-up gelungen ist, womit Traditionsunternehmen kämpfen: Am Dienstag verkündet das Berliner Unternehmen Adjust, dass es weiter in den chinesischen Markt expandiert und mit dem Konzern Tencent verpartnert ist.

Christian Henschel, 43, ist Mitgründer von Adjust, gemeinsam mit Manuel Kniep und Paul Müller baute er das Start-up vor fünf Jahren auf. Er sagt, "in den nächsten drei bis vier Jahren möchten wir 20 Prozent unseres Gesamtumsatzes in China machen". Der gebürtige Brandenburger studierte Betriebswirtschaftslehre in Frankfurt (Oder) und Freiberg sowie Kommunikation in Berlin. Damals gründete er zum ersten Mal, ein Stadtmagazin, arbeitete für Medienunternehmen wie den Musiksender MTV und war im Bereich der Werbeanalysentechnik tätig. Letzteres, genannt Adtech, ist auch sein aktuelles Produkt.

Adjust ist keine App, sondern ein Open Source-Software Development Kit. Damit können Apps um einzelne Funktionen erweitert werden, in diesem Fall die Auswertung von Nutzerdaten. Wer regelmäßig per App einkauft, seine Finanzen abwickelt oder spielt, hat vermutlich Adjust auf dem Smartphone laufen, ohne es zu wissen.

Die Software erfasst etwa, wie Nutzer auf die App aufmerksam geworden sind: Haben sie einen Werbebanner auf einer Website gesehen, in einem Netzwerk oder TV-Spot? Und was machen sie eigentlich in der App, nur klicken oder auch kaufen? Wenn Kunden im Browser ihres Computers surfen, setzen Seitenbetreiber Cookies, um das Nutzerverhalten zu verfolgen. Ein Tracking per App war bisher nicht so leicht möglich. Nun aber können Händler wie Zalando, die über Website und App verkaufen, auf beiden Wegen erfassen, wie sich Nutzer im Online-Shop bewegen. Personalisiert sind die Daten nicht, sagt Henschel: "Wir haben ja unseren Sitz in Deutschland, wo der Standard für Datenschutz hoch ist - und das ist auch gut so." Zalando allerdings, davon ist auszugehen, verknüpft die Daten, die das Unternehmen von Adjust zurückbekommt, mit den persönlichen Login-Daten seiner Kunden.

Der Vorteil für Unternehmen: Sie erfahren so, welche ihrer Werbekanäle sich lohnen, welche eher nicht. Marken wie Otto, Salesforce und Microsoft arbeiten bereits mit dem Start-up. "Wir sind wie ein Schiedsrichter, der von oben drauf schaut, eine neutrale, dritte Instanz", so Henschel. Adjust macht einen Umsatz von mehreren Millionen Euro, rund 40 Prozent in Europa und je 30 Prozent in Asien und den USA. Zukünftig also auch mit Tencent.

Der chinesische Konzern ist neben Alibaba die größte Internetfirma in der Volksrepublik. Zu seinen Anwendungen gehört das soziale Netzwerk Wechat, mit dem Chinesen sich austauschen, bezahlen, Taxis oder Essen bestellen. Wer hier wirbt und analysieren lässt, bekommt auf einen Schlag Zugriff auf Daten von rund 900 Millionen Nutzern. Das ist politisch heikel, schließlich späht kein Land der Welt seine Bürger so massiv im Internet aus wie China. Und Tencent gibt offen zu, dass es seine Daten an die Regierung weitergibt. Henschel betont aber, dass das Start-up einen kommerziellen Auftrag habe und keinen Beitrag zur politischen Lage leiste. "Im Gegenteil: Wir geben die Daten an die Kunden zurück und nicht an die großen Plattformen."

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Quelle:
SZ vom 12.12.2017
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