Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Fakten-Mensch

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Ökonom Philipp Heimberger kritisiert die aus seiner Sicht verzerrte Debatte über die EU. Gerade was Italien betrifft, sollte man sich mehr an Fakten orientieren.

Von Nathanael Häfner

Philipp Heimberger will ein Versprechen einlösen. Gleiche Lebensverhältnisse und Wohlstand, egal ob nun in der Uckermark oder in der italienischen Provinz, das erhofften sich viele von der EU. Das misslingt bisher auch wegen einer verzerrten Debatte, sagt der Ökonom, zuletzt über Italien.

Mit einer Kampagne will Heimberger die Debatten auf eine Faktenbasis stellen. "Sieht man die EU international in Konkurrenz zu China und den USA, brauchen wir ein starkes Italien", sagt Heimberger. Um über Stereotype hinauszukommen, müsse man sich komplexen Zusammenhängen stellen.

200 Milliarden Euro soll das Land aus dem EU-Wiederaufbaufonds erhalten. Doch in der öffentlichen Debatte bezweifeln einige, dass der neue Ministerpräsident Mario Draghi das Geld sinnvoll verwenden kann. Zu reformunwillig sei das Land, schon lange lebe man auf Kosten anderer. Heimberger sah Italien unfair dargestellt und klärte sieben wirtschaftspolitische Mythen über das südeuropäische Land auf. "Viele, die sich beruflich mit Wirtschaft beschäftigen, reden bei volkswirtschaftlichen Fragen immer wieder mal an den Fakten vorbei", sagt er.

"Italien lebt nicht auf Kosten anderer Länder", sagt Heimberger. Im Gegenteil, schon seit 2012 exportiert das Land mehr als es importiert. Besonders wegen des wirtschaftlich starken Nordens ist Italien eine wichtige Industriemacht in Europa. Auch sind Italiener nicht reicher als Deutsche oder Österreicher, sondern sie besitzen häufiger Häuser anstatt Wohnungen zu mieten. Die Immobilien ersetzen allerdings oft soziale Sicherungen. Und schließlich liegt die Privatverschuldung mit 161 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung etwa auf einem Niveau mit Deutschland.

Dennoch lasten weiterhin hohe Schulden von rund 2,6 Billionen Euro auf dem italienischen Staatshaushalt. Heimberger sieht diese als Altlasten aus den Achtzigern, damals stiegen die Zinsen international massiv an. Zudem sei der Haushalt mit Ausnahme der Krisenjahre 2009 und 2020 ohne Zinsbedienung seit 1992 immer ausgeglichen gewesen.

Wegen dieser Schulden fordern einige, dass es noch mehr Reformen bedürfe. Schließlich habe Deutschland zum Teil von den Agenda-Reformen Anfang der 2000er profitiert. Allerdings herrschten hier andere Rahmenbedingungen, sagt Heimberger. Den Euro sieht er für die deutsche Wirtschaft stark unterbewertet, Löhne stagnierten seit 20 Jahren. Und: In kaum einem anderen europäischen Land wie Italien sei über Jahrzehnte derart viel gespart worden. Unter dem damaligen Hoffnungsträger Renzi 2014 mit seiner Mitte-links-Regierung sei etwa die Zahl temporärer Arbeitsverträge in die Höhe geschnellt. Diese Politik weiterhin fortzusetzen hält Heimberger für zweifelhaft.

Er macht sich keine Illusionen über Probleme in Italien. Der Bankensektor sei zu stark, im Süden habe sich zu wenig Industrie angesiedelt. Dazu behindern nahezu jährliche Regierungswechsel die politische Arbeit. Andererseits sieht er das Chaos in Italien oft überzogen dargestellt. Auch andere europäische Nachbarländer seien politisch instabil.

Heimberger ist promovierter Ökonom und arbeitet in Wien am Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Insbesondere nach der Eurokrise suchte Heimberger nach wirtschaftspolitischen Auswegen und forscht bis heute zu Makroökonomie im europäischen Kontext.

Er glaubt nicht, dass es allein mit den 200 Millionen Euro für Italien aus dem EU-Fonds getan ist. Vielmehr müsse man wirtschaftspolitisch umdenken, damit sich die Versprechen der EU auch für den Süden erfüllen.

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