Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Arbeiterkind

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Bernd Fitzenberger, der neue Chef des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, kommt aus einfachen Verhältnissen - eine ungewöhnliche Karriere.

Von Thomas Öchsner

In vielen Fällen ist es in Deutschland noch so: Kinder aus Akademikerfamilien werden Akademiker, Kinder von Arbeitern werden wieder Arbeiter, ein Studium ist für sie unerreichbar. Nicht so bei Bernd Fitzenberger. Sein Mutter, die nicht aufs Gymnasium durfte, war Näherin bei Schiesser, sein früh verstorbener Vater Lkw-Fahrer, ihr Sohn aber legte eine akademische Bilderbuchkarriere hin. Abitur mit 1,0, Erstes Studium in Konstanz, Diplom in Volkswirtschaft mit 1,0, Doktortitel an der Stanford University in den USA, bereits mit 35 Jahren Professor und nun gut 20 Jahre später mit 56 neuer Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. "Für meine Ausbildung und die meiner Brüder hat unsere Mutter alles gegeben", sagt Fitzenberger.

Der Ökonom und Statistiker, der in Frankfurt, Freiburg und zuletzt in Berlin gelehrt hat, ist keiner, der diese Geschichte gleich hinausposaunen würde. Er macht kein großes Gewese um sich und diese Familiengeschichte, wenn man nicht nachfragt. Lieber redet Fitzenberger über seinen neuen Job, den er schon mal als "Krönung meiner Karriere" bezeichnet hat.

Das IAB gilt als Denkfabrik der Bundesagentur für Arbeit. 300 Mitarbeiter, darunter 200 Wissenschaftler, die darüber forschen, etwa wie gut Förderhilfen der Jobcenter wirken oder Langzeitarbeitslose am besten dauerhaft wieder einen Job finden. Fitzenberger reizt das, jetzt von Nürnberg aus, die Politik zu beraten und sagen zu können: "Wenn ihr euch für A entscheidet, wird B passieren."

Er hat selbst etliche Forschungsarbeiten zur Arbeitsmarktpolitik veröffentlicht. Vor einem Jahr befeuerte eine von ihm mitverfasste Studie, wonach steigende Mieten die Einkommensungleichheit verstärken, die Debatte um bezahlbares Wohnen. Jetzt sagt er: "Ich finde es spannend, näher an den politischen Entscheidungen dran zu sein." Und fügt hinzu: "Es ist eine Illusion zu glauben, dass das, was wir vorschlagen, eins zu eins umgesetzt wird." Aber zehn Jahre habe er ja, "um etwas zu bewegen". So lange will er den Job machen.

Das IAB soll dabei so unabhängig und frei bleiben wie bisher. "Wir sind und werden hier im IAB mit Werturteilen zurückhaltend sein", sagt Fitzenberger. Wenn es nötig sei, werde er sich aber auch nicht zurückhalten. Sein Vorgänger, Joachim Möller, mittlerweile im Ruhestand, hat - anders als viele andere Ökonomen - den Mindestlohn verteidigt. Fitzenberger kündigt an: "Wenn ich von etwas überzeugt bin, werde ich das schon deutlich sagen."

Neugierig war er schon in jungen Jahren. Viel auswendig lernen für ein Medizinstudium war für ihn trotz des Einser-Abiturs kein Thema. Er sei, sagt er, "in Zeiten der Ölpreiskrise aufgewachsen. Ich wollte verstehen, was da passiert." Und Fitzenberger hat seine eigenen Erfahrungen gemacht. Zu Hause hat er seiner Mutter bei der Heimarbeit geholfen und vor dem Fernseher Elektronikteile für VW zusammengesetzt. Er hat auf dem Bau und in einer Fabrik gejobbt. Und er weiß, dass sein Werdegang eher die Ausnahme ist: Der Ökonom sieht in Deutschland "ein Problem der Ungleichheit bei den Aufstiegschancen". Man könne es als Arbeiterkind schaffen zu studieren, aber die Aufstiegschancen seien deutlich schlechter als bei Akademikerkindern. "Also müssen wir das Bildungssystem so verändern, dass das besser wird."

Auch deshalb würde der IAB-Chef gerne die Berufsforschung weiter stärken. Warum zum Beispiel, fragt er sich, "sind immer noch so viele Jugendliche in der Warteschleife im Übergang Schule und Beruf?" Und was lasse sich tun, "damit weniger junge Menschen ohne Berufsausbildung und ohne Schulabschluss auf den Arbeitsmarkt kommen?" Da hat sich jemand viel vorgenommen.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2019
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