Süddeutsche Zeitung

Täuschung von Verbrauchern:Mogelpackungen sind ein Ärgernis - in allen Branchen

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Miracoli wurde von Verbrauchern zur "Mogelpackung des Jahres" gekürt, weil der Hersteller einfach den Käse wegließ, ohne darüber zu informieren. Das erinnert an das aktuelle Gebaren der Finanzindustrie.

Kommentar von Harald Freiberger

Was haben Mirácoli und Exchange Traded Funds gemeinsam? Die Frage wirkt komisch, denn wo soll es eine Verbindung geben zwischen dem traditionellen Fertignudelgericht und dem modernen Finanzprodukt, abgekürzt ETF, das bei Anlegern immer beliebter wird? Und doch ist da eine Gemeinsamkeit: Bei beiden handelt es sich nämlich aktuell um Mogelpackungen.

Mirácoli hat das gerade offiziell bestätigt bekommen. Verbraucher wählten die bekannte gelbe Packung mit Spaghetti, Tomatensoße, Gewürzmischung und Parmesan zur "Mogelpackung des Jahres", weil der Hersteller Mars von einem Tag auf den anderen den Käsebeutel weggelassen hat, vermutlich um Kosten zu sparen. Er tat dies, ohne darauf hinzuweisen. Nun gibt es nicht wenige Verbraucher, die den Käse ohnehin nicht vermissen, weil er für sie ein ranziges Aroma verströmte. Andere aber ärgern sich eben doch darüber, so dass Mars nun öffentlich am Pranger steht und zwar Kosten gespart, aber einen Imageschaden erlitten hat.

Bei ETF besteht die Mogelpackung darin, dass Anbieter wie iShares oder Xtrackers zuletzt so getan haben, als gäbe es etwas geschenkt. Sie entwickeln und verwalten die Finanzprodukte, die zum Beispiel einen Aktienindex nachbilden und mit denen Anleger zu niedrigen Kosten auf dem Kapitalmarkt investieren können. Um den Verkauf anzukurbeln, überließen die Anbieter ihren Absatzkanälen - Online-Brokern wie ING oder Onvista - Hunderte ETF-Sparpläne, ohne dafür Gebühren zu verlangen. Die Broker gaben dies an ihre Kunden weiter, so dass diese die ETF-Sparpläne kostenlos bekamen. Es schien wie ein Paradies für Anleger. Zum Jahreswechsel aber stellten die Anbieter die Gratis-Aktion für viele der Sparpläne ein. Nun sind wieder normale Gebühren fällig. Es zeigt sich, dass es sich um Lockangebote handelte, um Kunden ins Haus zu holen und sie dann womöglich mit einem teuren und falschen Produkt über den Tisch zu ziehen.

Kunde muss eine Chance haben

Beide Mogelpackungen eignen sich, um auszuloten, wo im deutschen Wirtschaftssystem die Grenze zwischen zulässigem Marketing und moralisch bedenklicher Irreführung des Verbrauchers verläuft. Vorweg: Zum Kern einer freien Marktwirtschaft gehört das Recht der Unternehmen, Menge und Preis festzusetzen. Durch Wettbewerb soll sich für den Verbraucher die bestmögliche Lösung ergeben. Er kann ja auswählen und sich für das günstigste Produkt, bezogen auf Menge und Qualität, entscheiden. Das setzt auf der einen Seite Transparenz voraus und auf der anderen den mündigen Verbraucher. Ist dies gegeben, hat jedes Unternehmen das Recht, Preise zu erhöhen, Mengen zu verringern oder Preise erst zu senken und dann wieder anzuheben. Solche Mogelei ist statthaft, wenn der Kunde die Chance hat, sie zu durchschauen.

Unter dieser Prämisse handelt es sich um zwei Aktionen, die nicht sauber sind und deshalb das Vertrauen in die Marktwirtschaft untergraben. Mars stellte seine Kunden vor vollendete Tatsachen, sie können das Fehlen des Käsebeutels erst bemerken, wenn sie die Packung Mirácoli schon gekauft haben. Nun wäre es übertrieben zu verlangen, dass der Hersteller auf die Packung groß den Hinweis "Neu! Jetzt ohne Käse" druckt. Aber irgendein Hinweis, und sei es nur ein kleiner, würde zumindest etwas Licht ins Dunkel bringen. Noch mehr helfen würde ein zentrales Register, dem Unternehmen melden müssen, wenn sie Inhalt oder Größe eines Produkts verändern, so wie Verbraucherschützer das fordern.

Schwieriger ist die Lage bei den ETF-Sparplänen. Das liegt auch daran, dass sie zu einem immer wichtigeren Produkt für die private Altersvorsorge werden. Sie können helfen, die Lücke zu schließen, die sich für die Bundesbürger durch niedrige Zinsen und gesunkene Renten auftut. ETF sind die wohl wichtigste Neuerung auf den Finanzmärkten in den vergangenen Jahrzehnten, weil sie Anlegern ermöglichen, zu niedrigen Kosten auf den rentableren Kapitalmärkten zu investieren.

Wenn die ETF-Anbieter sich nun mit Gratis-Aktionen überbieten, ist das einerseits ein gutes Zeichen, weil es für funktionierenden Wettbewerb spricht. Andererseits aber birgt es die Gefahr, dass Verbraucher in die für sie falsche Anlage gelockt werden, ohne dass es ihnen bewusst ist. Ein erster Schritt hin zu mehr Transparenz wäre, dass die Anbieter angeben müssen, wie lange eine Gratis-Aktion dauert. Dann können Verbraucher abschätzen, ob es sich für sie lohnt, sich langfristig an ein Produkt zu binden. Die Altersvorsorge der Menschen ist zu wichtig, um das Feld Marketing-Moglern zu überlassen.

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SZ vom 22.01.2020
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