Süddeutsche Zeitung

Mobilität:Die Bahn macht ihre Kunden selbst zum Schaffner

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Von Markus Balser

Da hat man es gerade noch so zum Zug geschafft, sich durch volle Gänge zum reservierten Platz gekämpft, das Gepäck verstaut und just den Computer an- oder die Augen zugemacht. Genau in diesem Moment öffnet sich mit leichtem Surren die Glastür zum Großraumwagen, ein Mensch in blauer Uniform schiebt sich hindurch und beendet die Ruhe mit mehr oder weniger sonorer Stimme: "Die Fahrkarten bitte!"

Geht es nach den Plänen der Deutschen Bahn, soll das künftig seltener vorkommen. Passagiere bekommen die Möglichkeit, die Fahrscheinkontrolle zum Start ihrer Reise selbst zu übernehmen. Der Konzern führt von diesem Monat an schrittweise den sogenannten Komfort-Check-in ein: Wer sein Ticket über das Handy oder online gekauft und eine Platzreservierung dazugebucht hat, kann die Fahrkarte in der App selbst entwerten. Das Signal landet anschließend beim Zugbegleiter, der die entsprechenden Plätze bei der Kontrolle auslässt und nur jene Passagiere um ihre Tickets bittet, die nicht bereits eingecheckt haben.

Was für Bahnfahrende himmlisch klingt, hat in der Praxis allerdings einige Tücken. Zum einen bedeutet es, dass Passagiere den reservierten Platz nicht einfach so gegen einen anderen freien tauschen können - es sei denn, sie wollen den Schaffner vollends verwirren. Hinzu kommt, dass Reisende mit Tickets vom Automaten oder Schalter von dem Service ausgeschlossen sind, genau wie jene ohne Smartphone oder 4,50 Euro teure Platzreservierung pro Strecke.

Seit diesem Montag ist das elektronische Check-in-Verfahren nach Angaben der Deutschen Bahn für alle ICE-Verbindungen freigeschaltet. Auf zwei Strecken hatte das Unternehmen die Technik zuvor getestet und mit Befragungen begleitet. Die Reaktionen der Kunden, aber auch der Mitarbeiter, seien positiv ausgefallen, sagt ein Konzernsprecher. Auf viel befahrenen Strecken sollen in den kommenden Wochen zunächst zusätzliche Bahnmitarbeiter in den Zügen Fragen zu dem System beantworten.

Gewerkschaften befürchten einen Stellenabbau

Für die Bahn sind die Vorteile offensichtlich: Nutzen viele Passagiere das System, spart der Konzern Zeit beim Kontrollieren - und bräuchte letztlich weniger Mitarbeiter an Bord. Was Gewerkschaften murrend beobachten dürften, stellt die Bahn selbst ganz anders dar: Das Personal könne sich so anstelle der Fahrscheinkontrolle mehr um die individuellen Wünsche der Fahrgäste kümmern, sagt Bahnchef Richard Lutz. Etwa darum, einen guten Kaffee zu servieren.

Neue App-Angebote für Fahrgäste sind Teil der Zukunftsstrategie der Bahn, die endlich ein digitales Unternehmen werden will. Das betrifft sowohl das Geschäft mit Tickets und den Kundenservice, als auch die teils veraltete Schienen- und Zugtechnik. Bis 2030 will der Konzern etwa auch das eigene Streckennetz digitalisieren, sodass die Züge in Zukunft automatisiert fahren können. Für die Bahn und ihr überlastetes Streckennetz würde das Vorteile bringen. Züge könnten dann in einem deutlich dichteren Takt fahren.

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Quelle:
SZ vom 06.06.2018
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