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Mobilfunkmesse in Barcelona:Alles im Blick

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Die neue Netzwerk-Technik ist das Hauptthema auf dem Mobile World Congress. Deutsche Konzerne sind vorne dabei, wenn es darum geht, die Standards für die vernetzte Fabrik zu entwickeln.

Von Helmut Martin-Jung, Barcelona

Die Nachricht kam nicht völlig unerwartet, waren doch die Probleme des bayerischen Kommunikationstechnik-Konzerns Kathrein schon länger bekannt. Nun also wird das Unternehmen endgültig zerschlagen. Das Kerngeschäft mit Mobilfunkantennen und -filtern wird an den schwedischen Netzwerkausrüster Ericsson verkauft, wie beide Firmen am Montag mitteilten - am ersten Tag des Mobile World Congress in Barcelona, des größten Treffens der Branche weltweit. Ist das, wie man befürchten könnte, ein Indiz dafür, dass es Deutschland nicht funktioniert mit der neuen Technologie, dass vielleicht sogar die Tage der industriellen Spitzenstellung gezählt sein könnten?

Mit wem man auch spricht in Barcelona, was Deutschland angeht, haben die meisten ein weitaus besseres Bild von der Wandlungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft als viele Deutsche selbst. "Wenn man in China jemanden fragt, welches Auto er sich wünschen würde, sagen alle, einen BMW oder einen Mercedes oder einen Audi", sagt William Tian, der Deutschland-chef des Technologiekonzerns Huawei. Er ist sehr optimistisch, dass die Deutschen ihre technologische Leistungsfähigkeit auch im 5G-Zeitalter erhalten könnten.

Ähnlich sieht man das auch bei der weltweit agierenden Beratungsgesellschaft Accenture. Bei 5G gebe es noch keine klare Führerschaft eines Landes, sagt George Nazi, der bei Accenture weltweit für die Transformation von Netzwerken und für Innovation verantwortlich ist. In verschiedenen Ländern, sagt er, gebe es auch viele unterschiedliche Ansätze, wie die neue Technologie eingeführt werde.

Schnell und reaktiv soll die neue Technik sein. Sie dient zunächst vor allem Firmen

In den USA etwa liege ein Schwerpunkt darauf, mithilfe der leistungsfähigen 5G-Technik Haushalte ans Internet anzuschließen, die bisher keine oder nur eine schlechte Anbindung ans Internet haben. In Asien gehe es vor allem darum, den unersättlichen Hunger der Nutzer nach schnelleren Mobilfunk-Verbindungen zu befriedigen. Mehr Daten in kürzerer Zeit, vor allem Videos, das ist in Asien gefragt.

In Deutschland dagegen ist es vor allem die Industrie, die Netzwerkanbieter dazu antreibt, bei 5G voranzukommen. Warum das so ist, kann man am Stand von Nokia live beobachten. Für die Messe hat das Unternehmen zusammen mit Bosch eine echte kleine Produktionsstraße aufgebaut. Verschiedene Roboter erledigen dabei nacheinander verschiedene Aufgaben an einem Bauteil. Bisher hat jeder der Roboter ein eigenes Steuerpult, das per Kabel mit dem Roboter verbunden ist. Ziel ist es nicht nur, die Kabel abzuschaffen. Die Maschinen sollen auch von einem einzigen Steuerpult aus überwacht und gesteuert werden. Und das funktioniert nur mit den speziellen Fähigkeiten von 5G.

5G kann nicht nur enorme Datenmengen sehr schnell übertragen, sondern bei Bedarf auch nahezu in Echtzeit reagieren, dann zum Beispiel, wenn Gefahr in Verzug ist und ein Roboter so schnell wie möglich zum Stillstand gebracht werden muss. "Diese Fähigkeiten lohnen die Investition in 5G", sagt Phil Twist von Nokia. Unter den deutschen Konzernen sei daher die Begeisterung groß für Frequenzen, welche die Bundesnetzagentur genau für diesen Zweck reserviert hat - für automatisch gesteuerte Fabriken, Industrie 4.0.

Noch wird darüber mehr geredet als wirklich produziert, und es wird auch noch dauern, bis nicht nur die Großen wie Bosch oder Siemens solche Technologie einsetzen, sondern auch Mittelständler. Aber die Technologie ist ja auch noch neu, und vielleicht braucht auch nicht jedes Unternehmen schon in diesem Jahr einen 5G-Test auf dem Firmengelände.

Mehmet Yavuz würde das sofort unterschreiben. Yavuz ist der Technikchef des US-Unternehmens Ruckus. Seine Firma versorgt bereits jetzt Seehäfen, Rennstrecken, Stadien oder Logistikunternehmen mit LTE, also der Vorgänger-Technologie von 5G. Dazu werden auf dafür reservierten Frequenzen private LTE-Netze aufgebaut, die größere Bereiche abdecken können als etwa Wlan und auch stabiler funktionieren. "Für mobile Verbindungen wurden strengere Anforderungen für die Stabilität der Verbindung definiert", sagt Yavuz.

Die Schweden werden die Unterstützung der Kathrein-Mitarbeiter gut gebrauchen können

LTE erfülle bereits viel von dem, was auch 5G verspreche, sagt er, und zudem seien gerade die Fähigkeiten von 5G, die den Unterschied zu den Vorgängern ausmachen, noch in der Entwicklung. Erst wenn die Standards dafür verabschiedet seien, werde 5G die Fähigkeiten erhalten, die die Technologie für kritische Produktionsumgebungen qualifizieren. Wenn es zum Beispiel auf schnellste Reaktionszeiten ankommt.

Deutschland, prognostiziert Yavuz, werde dabei vorne sein. Deutsche Unternehmen dominierten den weltweiten Zusammenschluss 5G-ACIA, ACIA steht für "Alliance for Connected Industries and Automation". Ziel der Vereinigung, an der unter anderem Siemens, Bosch, Audi, Infineon, Trumpf und die Deutsche Telekom beteiligt sind, ist es, bei der Standardisierung und der Regulierung von 5G die Interessen der Industrie zu vertreten. Organisiert wird die Vereinigung vom Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) mit Sitz in Frankfurt.

Den beteiligten Unternehmen geht es darum, ihre Produktion zu vernetzen und flexibler zu gestalten, zum Beispiel, indem sie mithilfe der funkbasierten Technologie ihre Produktionsflächen je nach den jeweiligen Anforderung verändern können - und dafür eben keine neuen Kabel mehr verlegen müssen.

Auf die Netzwerkanbieter kommen mit 5G eine Vielzahl von Aufgaben und damit auch von Investitionen zu. Denn, sagt Phil Twist von Nokia, "mit neuen Antennen ist es nicht getan". Die Sendeanlagen müssen mit schnellen Glasfaserkabeln verbunden werden, und um die großen Datenmengen verarbeiten zu können, müssen Cloud-Rechenzentren geschaffen werden.

All das lässt vermuten, dass die neuen 5G-fähigen Smartphones, die in Barcelona gezeigt werden, noch eine Weile Demonstrationsobjekte bleiben werden und nicht etwa einen landesweiten Zugang zum 5G-Wundernetz bieten. Die dafür nötigen Investitionen müssen erst einmal finanziert werden. Die Experten glauben, dass die 5G-Technik Schritt für Schritt kommt. Für die Anbieter werde es darauf ankommen, funktionierende Geschäftsmodelle zu entwickeln, die es erlauben, die nächsten nötigen Schritte zu finanzieren, sagt George Nazi von Accenture.

In Europa und vielen anderen Regionen geht es zunächst ohnehin erst einmal darum, die nötigen Frequenzen zur Verfügung zu stellen. In Deutschland soll die Auktion für den ersten Teil von 5G-Frequenzen im März starten, wenn nicht noch die Klagen der deutschen Mobilfunkkonzerne dazu führen, dass der Termin verschoben wird. Es geht dabei - natürlich - ums Geld. Konzerne wie Telekom und Vodafone fürchten, dass sie zu viel für die Frequenzen zahlen und zudem hohe Auflagen erfüllen müssen.

Es geht ihnen um das Wie, nicht um das Ob. In einer Studie der Mobilfunk-Organisation GSMA, die auch den Mobile World Congress ausrichtet, heißt es, 5G werde in den kommenden 15 Jahren einen Betrag von 2,2 Billionen Euro zur globalen Wirtschaft leisten, da wollen auch die deutschen Anbieter dabei sein. Entwicklungen über solche Zeiträume sind natürlich schwer vorherzusagen, und ein wenig Zweckoptimismus wird man auch herausrechnen müssen. Doch die Experten sind sich auch einig, dass die 5G-Technik mehr ist als die bisher übliche evolutionäre Entwicklung bei der Funktechnik. Dadurch, so hört man immer, seien ganz neue Anwendungsszenarien möglich so wie etwa flexible Produktionshallen.

Die 4000 Mitarbeiter von Kathrein werden wohl unter dem Dach von Ericsson an der Umwälzung mitarbeiten. Sollte Ericsson wie vermutet von der Kritik am chinesischen Konkurrenten Huawei profitieren, werden die Schweden die Verstärkung gut gebrauchen können.

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SZ vom 26.02.2019
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