Süddeutsche Zeitung

Konsum:Ü45-Party im Schokoregal

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Von Michael Kläsgen

Babys haben keine Zähne, ergo brauchen sie Nahrung aus Brei: Babynahrung. So weit, so klar. Bisher war es danach so: Wenn die Beißerchen einmal durchgebrochen sind, gleicht sich die Nahrung der Menschen an. Allen stehen, die gleiche Region vorausgesetzt, dann im Prinzip die gleichen Lebensmittel zur Verfügung; jeder sucht sich heraus, was ihm schmeckt.

Umso bemerkenswerter ist, dass der Milka-Hersteller Mondelez nun eine Schokolade auf den Markt gebracht hat, die sich nach eigenen Angaben gezielt an Menschen richtet, die älter als 45 sind: Dark Milk. Eine Schokolade sozusagen für die "bessere Hälfte", wie das Multi-Talent Eckart von Hirschhausen den zweiten Lebensabschnitt nennt.

Klar, es gibt Produkte für bestimmte Altersklassen, Barbie-Puppen für kleine Mädchen, Inkontinenzwindeln für ältere Herren. Aber Lebensmittel? Dazu könnte man manche portionierte Fertigprodukte zählen. Die Hochschule Fulda entwickelte 2015 ein Seniorenbrot ohne Kruste, dafür aber mit viel Kalzium und Magnesium. Zum Grundnahrungsmittel für Gebissträger schaffte es das "Loewenbrot" aber nicht.

Milkas dunkle Schokolade hingegen findet sich seit Kurzem als Massenprodukt in Supermärkten. Entwickelt werden konnte sie, wie eine Sprecherin sagt, dank der Erkenntnisse von Marktforschern. Und auch dank der Daten, die Kunden mit Karten wie Payback oder Cashback hinterlassen, wie Jens von Wedel sagt: "Die Artikel in den Regalen richten sich immer stärker an spezifische Zielgruppen", weiß der Handelsexperte der Beratungsfirma Oliver Wyman. "Die demografische Komponente wird dabei neuerdings stärker berücksichtigt. Möglich ist das, weil die Händler über Kundenbindungsprogramme immer bessere Daten über die Kunden haben."

Kundendaten und Marktforschung ergaben, dass ältere Menschen dunkle Schokolade bevorzugen. Denn der Geschmack verändert sich laut Mondelez mit zunehmendem Alter. "Vielen sind die auf dem Markt erhältlichen dunklen Schokoladen aber zu bitter. Sie vermissen die Zartheit, die sie an Milchschokolade schätzen", sagt die Sprecherin. Daher vereinte Mondelez nach eigenen Angaben beide Wünsche: das Bittere und das Süße.

Milka produziert bereits eine ähnliche Tafel

Alles nur Marketing? Danach sieht es aus, meinen die Experten der Verbraucherzentrale Hamburg. Sie fanden heraus, dass Milka bereits eine Schokolade mit fast identischen Inhaltsstoffen herstellt. Nur ist diese noch etwas hochwertiger, weil sie einen höheren Kakaoanteil aufweist, dafür ist sie aber billiger. Bei Dark Milk ist hingegen die Verpackung größer, der Inhalt kleiner, dafür der Preis höher. Wohl weil die Generation 45 plus als kaufkräftig gilt, vermutet man bei der Verbraucherzentrale.

Hintergrund der Produkteinführung sind daher weniger Geschmacksverschiebungen mit zunehmendem Alter als vielmehr Umsatzverschiebungen im zunehmenden Wettbewerb. Ein warmer Sommer, und der Absatz bricht weg, 2018 schrumpfte er bei Tafelschokolade in Deutschland laut Marktforschern um vier Prozent. Das traf auch Branchenführer Mondelez hart, der ein Viertel des deutschen Marktes dominiert, vor Ritter Sport. Da die Bevölkerung in Deutschland altert, liegt es nahe, dass sich die Manager von einer wachsenden Zielgruppe zusätzliches Geschäft versprechen. Nur: Die Anvisierten könnten noch schlauer sein als die Strategen von Mondelez und sich eine Tafel aus dem bestehenden Angebot suchen. Mondelez wird das verkraften. "Die Kernzielgruppe von Milka", sagt die Sprecherin, "besteht nach wie vor aus jungen Familien."

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SZ vom 28.03.2019
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