Süddeutsche Zeitung

Microsoft:Pinguine an Bord

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Bei dem Softwarekonzern aus Redmond ist die Macht des Windows-Teams gebrochen. In Zeiten der Internet-Wolke ist plötzlich einiges möglich, was in dem Unternehmen unter Bill Gates und Steve Ballmer undenkbar war.

Es war eine Szene mit Symbolkraft. Vier bekannte Technik-Journalisten saßen bei der hauseigenen Entwicklerkonferenz Build feixend in der vorderen Reihe und trugen Mützen mit einem grinsenden Pinguin darauf. Das ist das Markenzeichen des freien Betriebssystems Linux. Microsofts früherer Vorstandschef Steve Ballmer hatte Open-Source-Software wie Linux 2001 noch als "Krebsgeschwür" bezeichnet. Auch Bill Gates hasste sie. Jetzt stand Ballmers Nachfolger Satya Nadella vor Pinguin-Mützen auf der Bühne und stellte "Bash" für Windows vor: Eine Software-Umgebung, auf der Linux-Programmbefehle unter Windows laufen.

Linux-Entwickler haben sich bisher lieber einen Mac von Apple gekauft. Das soll sich ändern

Ein Kommentator auf Twitter fasste seine Verwunderung so zusammen: "Bash auf Windows muss für Microsoft so sein wie für Star Trek, als zum ersten Mal Klingonen mitfliegen durften." Mit Charme, Geduld und Hartnäckigkeit erklärt der 48-Jährige Nadella, der seit 2014 an der Spitze steht, wie sich die Welt bei Microsoft gewandelt hat: Die frühere Allmacht des Windows-Teams ist gebrochen. Schätzungsweise 70 Prozent aller Webseiten, die Nutzer heute aufrufen, laufen auf Servern mit Open-Source-Software. Nadellas Botschaft: Ich will sie alle haben - ihre Entwickler, ihre Daten, ihr Geschäft. Bislang haben sich Linux-Entwickler lieber einen Mac von Apple gekauft. Das soll jetzt der Vergangenheit angehören.

Manche Teilnehmer konnten das kaum fassen, und die Stimmung war endlich wieder gut auf den Parties. Vergessen sind die Jahre des Zweifels, was aus Microsoft wird. Durch ein Spalier klatschender Mitarbeiter sind die Software-Profis in die "Hololens Academy" gegangen, um Apps für den Arbeitsalltag mit der neuen Datenbrille Hololens zu erstellen und sich eine Schlacht mit digitalen Bällen zu liefern. Der alte Gigant gilt auf einmal wieder als cool und innovativ. Dann kommt das nun kostenlose "Xamarin". Damit lassen sich auch Apps für Windows-Smartphones und Android-Telefone erstellen. Und da ist eben "Bash", mit dem die Open-Source-Entwicklung auf dem PC so einfach wie nie wird.

Hinter alldem steht nicht mehr zwingend Windows, sondern die Microsoft-Variante der Internet-Wolke: "Azure", eine gigantische Infrastruktur im Internet mit riesiger Rechenleistung. Dieser Weltcomputer bildet die Basis, um Chatprogramme wie Skype, Konkurrenten wie Wechat oder Whatsapp von Facebook intelligent zu machen oder BMW-Fahrer mit ihren Autos und ihrem Leben zu vernetzen.

Das neue Gesicht soll die digitale Assistentin Cortana werden. Auf allen Plattformen soll sie Fragen beantworten, beraten, suchen, bestellen, planen. Überall - vom Billighandy in Indien über Tablets von Apple und Google bis hin zu Office oder im Stau in Unterföhring. Cortana muss auch eine gescheiterte Hoffnung Microsofts ablösen: Windows Phone 10. Die Betriebssystem-Variante für Smartphones fand bei der Build keinerlei Erwähnung. Während das Surface-Tablet doch noch zum Milliarden-Geschäft wird, sind Microsofts Smartphones nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Nadella will die Menschen genau dort abholen, wo sie sich gerade befinden

Die Vorteile eines digitalen und selbstlernenden Assistenten mit künstlicher Intelligenz müssen jedoch so überzeugen, dass niemand ihn missen will. Wie schwierig diese Aufgabe ist, hat Microsoft gerade erleben müssen. Der durch künstliche Intelligenz gesteuerte Chatbot Tay, mit dem Microsoft auf Twitter mehr über Gespräche zwischen Mensch und Maschine herausfinden wollte, verwandelte sich nach wenigen Stunden in einen "Hassbot", der antifeministische, rassistische und hetzerische Tweets von sich gab - weil Twitter-Nutzer das Projekt gekapert hatten.

Geht das Microsoft-Konzept aber auf, verfügt Nadella über eine Waffe, die kaum jemand schlagen kann. Nur Google und mit Abstrichen Apple können überhaupt mithalten. Doch Apple fehlt noch die gigantische Cloud-Intelligenz, die Microsoft, Google und mit Abstrichen Amazon bereits bieten. Bill Gates träumte 1975 bei der Gründung von Microsoft von einem PC auf jedem Schreibtisch, in jedem Haushalt. Nadella will Microsoft dort haben, wo sich der Mensch aufhält. Selbst wenn der es am Ende gar nicht mehr wahrnimmt.

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SZ vom 05.04.2016 / dpa
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