Süddeutsche Zeitung

Netzsperre:Warum Russland einen deutschen E-Mail-Anbieter vor Gericht zerrt

Lesezeit: 3 min

Von Max Hoppenstedt, Berlin

In den Weihnachtsferien bekam die Firma von Peer Heinlein einen Brief aus Russland. Darin droht die russische Telekommunikationsbehörde Roskomnadzor, den E-Mail-Anbieter Mailbox.org vom Netz zu nehmen. Das Berliner Unternehmen verspricht seinen Kunden eine sichere, verschlüsselte Kommunikation und besonders hohen Datenschutz. Doch nun soll kein Mailbox.org-Nutzer mehr von Russland aus E-Mails senden oder empfangen können. Reisende wären genauso betroffen wie russische Nutzer.

Hintergrund ist ein russisches Internet-Gesetz, das ausländische Unternehmen verpflichtet, die Daten ihrer Nutzer in Russland zu speichern. Von Bürgerrechtlern und russischen Oppositionellen wird das Gesetz als Angriff auf die Privatsphäre kritisiert. Sie befürchten, dass russische Behörden sehr viel leichter auf die Daten zugreifen können, wenn sie auf inländischen Servern liegen.

Mailbox.org wäre nicht das erste ausländische Internet-Unternehmen, das die russischen Behörden sperren lassen. In den vergangenen beiden Jahren traf es bereits die populäre Chat-App Telegram, das Berufsnetzwerk Linkedin und Amazon. Aktuell geht Roskomnadzor offenbar erneut verstärkt gegen ausländische E-Mail-Dienste vor: Der Schweizer E-Mail-Anbieter Protonmail wurde Ende Januar aus dem Netz gesperrt, ebenso der niederländische Dienst Startmail. Von Adressen der Dienste sollen laut Behörden Bombendrohungen verschickt worden sein.

Teilerfolg von Mailbox.org

Unternehmenschef Heinlein entscheidet sich, gegen die Anordnung vorzugehen und nimmt sich einen russischen Anwalt. Am Mittwoch trafen sich beide Parteien vor Gericht in Moskau. Am Ende stand ein Teilerfolg von Mailbox.org, Roskomnadzor rückte von der Sperrandrohung ab. Heinlein sagt, dass er sich gegen die Sperre nicht aus wirtschaftlichen Gründen wehrt, er wisse noch nicht mal, ob er überhaupt Kunden in Russland habe. Er sieht in dem Fall eine politische Dimension: "Was in Russland gerade passiert, ist das Warming-up für ein totalitäres Zensur-Internet, wie wir das in China schon haben, dagegen wollen wir uns wehren."

Dass Mailbox.org vor Gericht einen Sieg erringen konnte, liegt offenbar auch daran, dass die Firma auf die zentrale Forderung der russischen Behörden eingegangen ist und sich in dem sogenannten Ari-Register eingetragen hat. Hier sollen sich alle in Russland tätigen Telekommunikationsfirmen registrieren. Roskomnadzor gibt sich damit fürs Erste zufrieden, betont allerdings, dass Mailbox.org weiterhin verpflichtet sei, auch seine Daten auf Servern in Russland zu sichern. "Wir würden nie im Leben die Daten unserer Kunden in Russland speichern oder dort spiegeln", sagt Heinlein. Eine Speicherung vor Ort könnte aufgrund eines weiteren russischen Internetgesetzes besonders kritisch sein: Nach dem Yarovaya-Gesetz können Internet-Unternehmen gezwungen werden, den Behörden die privaten Zugangsschlüssel ihrer Kunden zu verraten. Bei der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sichern diese Schlüssel die Nachrichten, sodass sie nicht geknackt werden können. Im Fall Mailbox.org läuft diese Regelung allerdings technisch ins Leere, sagt Heinlein. Das Unternehmen könnte die Schlüssel der Kunden gar nicht verraten, weil es diese selbst nicht im Klartext speichert.

"Russland hat ein großes Problem mit Cybercrime und man kann schon verstehen, dass die Behörden versuchen, etwas dagegen zu machen", sagt Klaus Landefeld, stellvertretender Vorsitzender des deutschen Verbands der Internetwirtschaft (eco). Die russische Internetregulierung wird mit dem Anti-Terror-Kampf, einer besseren Rechtsdurchsetzung im Netz und dem Datenschutz begründet. Dies seien legitime Interessen, sagt Landefeld. "Aber selbstverständlich besteht die Gefahr, dass diese Maßnahmen auch gegen Oppositionelle eingesetzt werden." Landefeld sieht die aktuellen Aktionen der russischen Behörden auch im Zusammenhang mit dem Plan für das Runet, ein autarkes Netz, das die Behörden vom Rest des Internets abtrennen können. Dies könne nur funktionieren, wenn die Daten auf russischen Servern lägen. Bis dieses Netz technisch funktioniere, werde es aber noch einige Jahre dauern. "Dienste sperren und das eigene Internet vom Rest der Welt trennen zu können, ist ein Machtinstrument."

Sollte Mailbox.org tatsächlich einmal in Russland gesperrt werden, ist Peer Heinlein gerüstet. "Wir könnten uns gut dagegen wehren und den Dienst technisch erreichbar halten, ähnlich wie das auch schon Telegram gemacht hat." Wochenlang versuchten die russischen Behörden im April 2018, die populäre Chat-App zu blockieren, am Ende hatten sie Banken, normale inländische Unternehmen und das halbe russische Netz kurzzeitig lahmgelegt. Telegram allerdings blieb aufgrund von technischen Tricks der Betreiber bis heute problemlos erreichbar. So leicht lässt sich das Netz eben doch nicht kontrollieren.

Redaktionelle Mitarbeit: Clara Lipkowski

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4790651
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.02.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.