Süddeutsche Zeitung

Luftfahrt:Warum gerade so viele Airlines fusionieren

Lesezeit: 4 min

Bei den internationalen Airlines herrscht Chaos. Nach zwei Jahren Corona-Stillstand versucht eine nach der anderen, einen Konkurrenten zu übernehmen. Die Frage ist nur: Was kommt danach?

Von Jens Flottau, Frankfurt

Robin Hayes ist eher als jovialer, freundlicher Typ bekannt. Bei Branchenveranstaltungen ist der Chef der amerikanischen Fluglinie Jetblue oft noch spät nachts mit Kollegen und Mitarbeitern unterwegs. Jetblue hat auch sehr loyale Kunden, weil sie mehr Platz an Bord bietet und in der Regel anständigen Service. Doch die Kollegen lernen gerade eine andere, bislang unbekannte Seite von Hayes kennen: Am Montag startete er den Versuch einer feindlichen Übernahme der großen Billigfluglinie Spirit Airlines.

Gut zwei Jahre lang hat sich während der Corona-Pandemie praktisch nichts getan in Sachen Übernahmen oder Fusionen in der internationalen Airline-Branche. Das hatte gute Gründe: Bei den meisten Fluglinien war das Management angesichts des zeitweise nahezu vollständigen Flugstopps komplett damit ausgelastet, Insolvenzen abzuwenden. Für aufwändige Integrationsprojekte fehlten Zeit, Nerven und natürlich Geld. Zudem haben Regierungen weltweit mit Krediten oder Beihilfen in der Größenordnung von rund 200 Milliarden US-Dollar - genauere Zahlen sind kaum seriös zu definieren - ihre Fluggesellschaften am Leben erhalten und damit Übernahmen geradezu verhindert. Anko van der Werff, Chef von SAS Scandinavian Airlines, schimpfte neulich, dadurch sei eine "einmalige Chance" verpasst worden.

Doch nun nimmt die Konsolidierung der Branche plötzlich rasant Fahrt auf, der Kampf Jetblues um Spirit Airlines ist nur einer von vielen größeren Transaktionen, die derzeit laufen. In Südamerika hat die kolumbianische Fluglinie Avianca gerade das Insolvenzverfahren beendet und übernimmt nun nicht nur den heimischen Konkurrenten Viva, sondern gründet zusammen mit der brasilianischen Billig-Airline Gol die Holding Abra. Avianca und Gol sind nach LATAM Airlines die Nummer zwei und drei in der Region. In Indien hat die TATA Group die marode staatliche Air India übernommen und wird sie vermutlich mit ihrer anderen Airline-Beteiligung Vistara zusammenführen. In Korea übernimmt Marktführer Korean Air den größten Konkurrenten Asiana. Und in Europa steht der Verkauf der neuen italienischen Airline ITA Airways an.

So viel Bewegung war schon lange nicht mehr

Auch die plötzliche Hektik hat etwas mit den Folgen der Pandemie zu tun. Die Airline-Industrie ist in den vergangenen zwei Jahren durcheinandergeraten wie nie zuvor. Manche sind massiv geschwächt und brauchen deswegen neue Anteilseigner, manche müssen sich neu positionieren, um Marktlücken zu füllen oder das eigene Geschäftsmodell zu verändern. Wiederum andere haben Interesse an attraktiven Flugzeugbestellungen eines Konkurrenten, die schnelleres Wachstum ermöglichen. So viel Bewegung war also schon lange nicht mehr, und dies, obwohl es immer noch Restriktionen gibt bei der Übernahme einer Airline in einem anderen Land: Normalerweise müssen Airlines mehrheitlich Investoren aus dem Land gehören, aus dem sie stammen. Ausnahmen sind die Europäische Union wegen des Binnenmarktes und Südamerika, weil die Regierungen offenbar kollektiv beschlossen haben, nicht so genau auf die eigene Regulierung zu achten.

Schon in den kommenden Wochen dürfte sich die Zukunft von ITA Airways entscheiden. Die neue Airline, gebaut von der italienischen Regierung aus den Trümmern der Alitalia, steht zum Verkauf. Bis zum 23. Mai müssen die Interessenten verbindliche Angebote für einen mindestens 51 Prozent großen Anteil an der Fluglinie abgeben. Der italienische Wirtschaftsminister Daniele Franco sagte am Dienstag im Parlament, dass der Verkauf bis Ende Juni über die Bühne gegangen sein soll. Lufthansa hat sich für ihr Angebot mit der Reederei MSC zusammengetan, MSC soll zunächst das meiste Geld investieren und den größeren Anteil kaufen. Doch wahrscheinlich ist, dass Lufthansa über kurz oder lang das Steuer übernimmt, wie zuvor bereits bei Swiss, Austrian und Brussels Airlines. Schließlich ist Italien für Lufthansa nach den USA der zweitwichtigste internationale Markt.

Alles unter der Voraussetzung, dass sie zum Zug kommt. Denn an ITA Airways haben auch Air France-KLM und Delta Air Lines ein Interesse - die beiden arbeiten mit Vorgänger Alitalia und ITA auch in der Skyteam-Allianz zusammen. Und der US-Finanzinvestor Indigo Partners hat ebenfalls Einblick in die ITA-Bücher genommen und könnte ein Angebot abgeben. Wie sich das alles auf die Verbraucher auswirkt, hängt davon ab, wer den Zuschlag bekommt. Auf die Preise dürfte es nur geringe Auswirkungen geben, da schlagen Inflation und höhere Treibstoffkosten viel stärker ins Gewicht.

ITA ist in Europa derzeit der spektakulärste Fall, aber auf Sicht nicht der einzige Übernahmekandidat. Bei SAS versucht sich derzeit van der Werff, der bis vergangenes Jahr Chef von Avianca war, an einer Sanierung. Der Niederländer gilt als klarer Befürworter der Konsolidierung, allerdings muss es ihm zunächst gelingen, SAS nach der Corona-Pandemie wieder einigermaßen zu stabilisieren. Dann könnte die skandinavische Fluglinie der nächste Verkaufskandidat werden.

Eine neue Billig-Airline aus Spirit und Frontier würde Jetblue weit abhängen

Apropos Indigo Partners: Der Gegner von Jetblue-Chef Hayes in der Übernahmeschlacht von Spirit Airlines ist der 85-jährige Indigo-Partners-Chef Bill Franke, ein legendärer Großinvestor in der Airline-Branche. Frankes Investment-Firma ist an Frontier Airlines beteiligt und eigentlich will Frontier Spirit übernehmen. Gemeinsam wären die beiden die fünftgrößte amerikanische Airline nach Delta, American, United und Southwest, viel größer als Jetblue, Alaska und der ganze Rest. Frankes Frontier hat 16 Dollar pro Spirit-Aktie geboten. Hayes konterte zunächst mit einem Gegenangebot von 33 Dollar, das der Spirit-Verwaltungsrat ablehnte.

Offiziell begründete das Gremium seine Entscheidung damit, dass die amerikanischen Wettbewerbsbehörden niemals eine Fusion von Jetblue und Spirit genehmigen würden, zumal Jetblue gleichzeitig auch noch eine Allianz mit American Airlines eingehen will, gegen die derzeit das US-Verkehrsministerium klagt. Doch Hayes vermutet, dass Franke immer noch gewaltigen Einfluss bei den entscheidenden Figuren im Spirit-Verwaltungsrat hat, schließlich gehörte die Airline auch einige Zeit zum Indigo-Partners-Imperium.

Hayes also wandte sich nun mit einer neuen Offerte direkt an die Spirit-Aktionäre und stellte sich damit gegen die Entscheidung des Verwaltungsrats. Die Aufseher wollen nun innerhalb von zehn Tagen entscheiden, wie es weitergehen soll, und bitten die Aktionäre, bis dahin die Füße stillzuhalten. Für Hayes geht es um viel: Eine neue große Billig-Airline aus Spirit und Frontier würde Jetblue weit abhängen. Jetblue und Spirit zusammen hingegen würden zu einer echten Branchengröße aufsteigen.

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