Süddeutsche Zeitung

Luftverkehr:Ausgeflogen

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Die Fluggesellschaft Germania stellt Insolvenzantrag: 30 Jahre lang überlebte sie mit einer Nischenstrategie. Dann beschloss sie plötzlich, stark zu wachsen. Zehntausende Passagiere sind nun betroffen.

Von Jens Flottau, München

Von Germania-Gründer Hinrich Bischoff gibt es, unter anderem, die folgende Geschichte: Eines Tages marschierte er in die Vorstandsetage der Frankfurter Lufthansa-Zentrale. Er trug einen seiner leicht verwitterten Anzüge, für die er berüchtigt war, und hielt eine Plastiktüte in der Hand. Wenn man sich nicht einigen könne auf einen Mietvertrag für seine Flugzeuge, dann sehe er sich gezwungen, innerdeutsche Flüge auf eigene Rechnung anzubieten, so Bischoff. Er zog ein Modellflugzeug in Germania-Lackierung aus der Tüte, um seine Drohung zu illustrieren. Bischoff hatte für das kleine Unternehmen gerade eine Menge neue Flugzeuge bestellt, für die er nun Beschäftigung suchte. Eigentlich wollte er nur ein paar selbst fliegen, die übrigen lieber gewinnbringend vermieten.

Mehr als 30 Jahre später ist Germania am Ende. Die Fluggesellschaft meldete am Montag Insolvenz an und stellte in der Nacht zu Dienstag den Betrieb ein. Zehntausende Passagiere sind betroffen. Es war nicht gelungen, rund 15 Millionen Euro aufzutreiben, um den Flugbetrieb weiterzuführen. Als Insolvenzverwalter wurde der Anwalt Rüdiger Wienberg eingesetzt. Die ursprünglich angesetzte Insolvenz in Eigenverwaltung kam nicht zustande. Es ist nach Air Berlin das nächste Aus einer deutschen Airline. Laut der Gewerkschaft Verdi sind rund 1150 Arbeitsplätze betroffen.

Die Pleite von Germania hat viele hausgemachte Gründe - und sie zeigt den Umbruch der europäischen Luftverkehrsindustrie. Air Berlin, Small Planet, Primera, Azur Air, VLM, die Schweizer Skywork - in den vergangenen Monaten sind viele kleine und im Branchenvergleich mittelgroße Anbieter pleitegegangen. Derzeit ringen die isländische Wow Air und Norwegian um ihr Überleben, wie lange sie sich noch halten können, ist ungewiss. Alitalia steht zum Verkauf. Oft waren es externe Faktoren wie hohe Spritpreise oder verspätete Flugzeuglieferungen, die die Lage erschwerten. Dazu kamen auch Managementfehler: Viele wollten im harten Wettbewerb zu schnell wachsen.

Die große Fluggesellschaften wie Lufthansa, Ryanair oder International Airlines Group (IAG) mit British Airways und Iberia profitieren von der Entwicklung und können nun ihre Marktanteile ausbauen. Lufthansa hat einen Teil von Air Berlin übernommen, Ryanair kaufte Laudamotion. IAG hat BMI erworben und hatte bis zuletzt Interesse an Norwegian, auch Lufthansa hat in die Bücher geschaut. Easyjet verstärkte sich mit der Air-Berlin-Basis in Tegel. Der Marktanteil der fünf größten europäischen Airlines liegt laut Ulrich Schulte-Strathaus, Chef der Brüsseler Unternehmensberatung Aviation Strategy and Concepts derzeit bei 61 Prozent, deutlich höher als noch vor wenigen Jahren.

Bis zuletzt suchten die Eigentümer fieberhaft nach Kapital - vergeblich

Allerdings dürfte auch das noch nicht das Ende der Entwicklung sein: Die größten vier amerikanischen Airlines kontrollieren seit den Großfusionen der letzten Jahre etwa 90 Prozent des heimischen Marktes. Germania mit Sitz in Berlin hatte sich auf Charterflüge im Auftrag von Reiseveranstaltern sowie Liniendienste in Nischenmärkten spezialisiert. Zuletzt flog die Airline mit 31 Maschinen. Einige weitere sind in der Schweiz und Bulgarien im Einsatz, die dortigen Töchter umfasst der Insolvenzantrag nicht. Besonders bitter ist das Ende für die kleineren deutschen Flughäfen Bremen, Münster/Osnabrück, Dresden und Erfurt, an denen Germania einen besonders hohen Anteil am Gesamtverkehr hatte. Auch Nürnberg, Düsseldorf und die beiden Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld sind betroffen. Germania war die letzte mittelständische Fluggesellschaft in Deutschland, das Aus hatte sich seit Monaten abgezeichnet. Anfang des Jahres bestätigte Geschäftsführer und Haupteigner Karsten Balke die finanziellen Probleme und gab zwischendurch leichte Entwarnung, denn es habe eine "wichtige Zusage" eines neuen Geldgebers gegeben. Wer der Geldgeber hätte sein sollen, verriet Balke nicht. Auch der ehemalige Air Berlin-Chef Joachim Hunold soll sich bemüht haben, Germania zu übernehmen.

Gründer Hinrich Bischoff war schon 2005 früh im Alter von 69 Jahren gestorben. Damals hatte Germania 44 Flugzeuge, die meisten waren zu guten Konditionen an andere Fluggesellschaften vermietet. Bischoff hatte verfügt, dass Hunold, damals noch Air-Berlin-Chef, die Oberaufsicht über die Airline übernehmen und diese mit Air Berlin zusammenlegen sollte, doch seine Kinder entschieden, das Unternehmen unabhängig weiterzuführen. Nach einem Streit unter den Erben übernahm Balke 2015 die Mehrheit an Germania. 2016 bestellte er 25 Airbus A320neo, die ab 2020 ausgeliefert werden sollten.

Als 2017 Air Berlin Insolvenz anmeldete, sah auch Balke seine Chance gekommen. Germania expandierte stark, 2018 bot die Airline rund 40 Prozent mehr Kapazität an als im Vorjahr. In der Branche rätselte man, wie die Fluggesellschaft das starke Wachstum finanzieren wollte. Balke ist seit Langem umstritten, intern gilt er manchen als beratungsresistent. Er ließ eine Airline in Gambia (Gambia Bird) starten, nach hohen Verlusten wurde der Versuch zwei Jahre später wieder gestoppt. Er gründete Tochtergesellschaften in der Schweiz und Bulgarien. Die zeitweise stark gestiegenen Preise für Kerosin sowie der Chaos-Sommer 2018, der hohe zusätzliche Kosten für Flugzeuge und Entschädigungszahlungen verursachte, brachten das Kartenhaus zum Einsturz.

Bischoffs Drohung mit dem Modell in der Plastiktüte damals hatte übrigens ihre Wirkung nicht verfehlt. Lufthansa unterschrieb. Aber das ist lange her.

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SZ vom 06.02.2019
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