Süddeutsche Zeitung

Lobbyismus:Die Debatte um Lobbyisten ist scheinheilig

Lesezeit: 3 min

Lobbyisten sind prinzipiell böse? Politiker stehen auf der Seite des Guten? So einfach ist es nicht.

Kommentar von Karl-Heinz Büschemann

Lobbyisten sind böse Menschen. Die Interessenvertreter der Wirtschaft laufen den Abgeordneten im Bundestag hinterher und raunen ihnen kurz vor einer Abstimmung noch zu, wie sie zu votieren haben. Das darf nicht sein, deshalb hat der Ältestenrat des Bundestages beschlossen, den Wirtschaftsvertretern, die nichts anderes zu tun haben als die Politiker zu beeinflussen, ihre Hausausweise wegzunehmen, die ihnen den einfachen Zugang zum Parlament erlauben.

Diese Vorstellung von den Interessenvertretern ist weltfremd. Lobbyisten brauchen keine Hausausweise, um ihre Wünsche bei den Politikern abzuladen. Sie haben wirksamere Mittel. Dennoch ist die Entscheidung zur Aussperrung richtig. Es ist widerlich, wenn Wirtschaftsvertreter beim Zutritt des Parlaments Privilegien genießen, die über die Rechte normaler Bürger hinausgehen, die ebenfalls Zugang zum Bundestag haben, wenn auch nur zu den Besucherrängen. Sie ist aber eine symbolische Regelung. Ändern wird sie an der Macht der Lobbyisten nichts.

Die Klagen häufen sich, dass es in Berlin mit den Einflüsterern schlimmer zugeht als anno dazumal in Bonn. Das mag stimmen. Berlin ist voll von großen Verbänden und dubiosen Beratern. Aber ganz neu ist das nicht. Auch in Bonn gab es finstere Interessenvertreter, manche sind sogar vor Gericht gelandet. Das macht es aber auch nicht besser.

Ihre entscheidende Währung ist nicht Geld, sondern Macht

Lobbyisten sind unbequem, manchmal gefährlich, aber sie gehören zur politischen Debatte. Auch Umweltaktivisten sind Interessenvertreter und es gehört zur Demokratie, dass alle Gruppen ihre Meinung in die politische Willensbildung einbringen. Bei manchen Interessen gelingt die Durchsetzung allerdings besser als anderen. Wer über Millionen und Milliarden verfügt, kann seine Meinung in der Gesellschaft leicht unterbringen. Wer sie nicht hat, bleibt im Schatten. Das ist beklagenswert. Aber nicht alles, was bedauerlich ist, lässt sich leicht ändern.

Die wichtigste Währung der Interessenvertreter ist nicht Geld, sondern die Macht. Wer über Arbeitsplätze entscheiden kann, hat das entscheidende Druckmittel in der Hand, das Abgeordnete beeinflussen kann. Deshalb ist es manchmal gar nicht nötig, Volksvertreter zu teuren Abendessen einzuladen oder im Büro zu bequatschen. Sie tun oft aus eigenem Interesse, was ihre Wähler von ihnen erwarten. Abgeordnete sind laut Grundgesetz nur ihrem Gewissen verantwortlich. Politisch erpressbar sind sie trotzdem.

Vieles am Streit um Lobbyisten ist ein Schaukampf, hinter dem ein merkwürdiges Menschenbild steht. Darin agieren die Abgeordneten stets auf der richtigen und schutzbedürftigen Seite, die Vertreter der Wirtschaft sind prinzipiell im Bunde mit dem Bösen. So einfach ist es nicht. Nicht alles, was Lobbyisten sagen, ist verwerflich. Nicht alles, was Abgeordnete planen, ist vernünftig. Die Dummheit im Parlament wird nicht kleiner, nur weil künftig die Lobbyisten ihre Arbeit stärker in teure Restaurants verlegen müssen, von wo aus sie heute schon agieren.

Die mangelnde Transparenz der Lobby-Arbeit ist problematisch. Aber Gespräche von Politikern mit Interessenvertretern dürfen nicht deshalb verboten sein, weil Abgeordneten vor bösen Einflüssen zu bewahren sind. Wer so denkt, macht die Abgeordneten kleiner, als sie sind. Er macht sie zu willfährigen Gestalten, die systematisch verführt werden und unfähig sind, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Längere Wartezeiten sollten den Wechsel in die Wirtschaft erschweren

Ja, es gibt Fehlentwicklungen. Wenn sich Ministerien ihre Gesetzentwürfe von Anwaltskanzleien schreiben lassen, die auch für Konzerne arbeiten, wirft das kein gutes Licht auf die Politik. Wechseln Ministerialbeamte oder Politiker in Unternehmen oder Verbände, ist das ebenfalls heikel. Matthias Wissmann, der frühere CDU-Bundesverkehrsminister, gehört als Chef des Autoverbandes zu den mächtigsten Lobbyisten in Berlin, der für seine Branche schon Milliarden Euro lockergemacht hat. Wissmann braucht für seine Arbeit keinen Bundestagsausweis. Bei ihm reicht der Wink mit über 700 000 Arbeitsplätzen, die es zu retten gilt.

Daher sollte der Wechsel von der Politik in die Wirtschaft durch längere Wartezeiten zum Abkühlen erschwert werden. Genauso wie es richtig ist, die dubiose Praxis der Parteispenden durchsichtiger zu machen und die Beträge zu deckeln, die Parteien von Firmen zufließen dürfen.

Die Macht der Wirtschaft in der Politik einzudämmen ist ein Gebot der Vernunft. Aber die Demokratie muss es aushalten, dass sich ein Interesse stärker durchsetzt als ein anderes. Deshalb ist es wichtig, den Interessenvertretern auf die Finger zu sehen. Aber ebenso wichtig ist es, die Abgeordneten im Auge zu behalten, denn sie entscheiden - und nicht Konzerne.

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SZ vom 01.03.2016
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