Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Systemwechsel nötig

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Die niedrigen Zinsen bringen es an den Tag: Die Provisionen in der Lebensversicherung sind viel zu hoch, sie fressen zu viel Rendite. Die Versicherer selbst sollten ein Interesse daran haben, ihren Vertrieb grundlegend umzubauen.

Von Herbert Fromme

Die niedrigen Zinsen bringen es an den Tag: Das auf hohen Provisionen beruhende Vertriebssystem der Lebensversicherer ist nicht mehr haltbar, die Gesellschaften sollten es abschaffen. Die Provisionen fressen so viel von der ohnehin niedrigen Rendite, dass für die Sparer viel zu wenig übrig bleibt. Die Bundesregierung versucht gerade, per Gesetz eine Obergrenze einzuziehen. Egal, ob das gelingt oder nicht: Es ist im ureigensten Interesse der Versicherer selbst, Alternativen zu finden und digitale Techniken mit persönlicher Beratung zu verbinden.

Verbraucherschützer, Zeitungsredaktionen und Anwälte erleben es immer öfter: Ratlose Kunden von Lebensversicherern wenden sich an sie mit verblüffenden Zahlen. Da ist der Arzt, der neun Jahre lang monatlich 700 Euro für die Altersversorgung aufwendet und am Ende nur 1200 Euro mehr herausbekommt, als er eingezahlt hat. Ein leitender Angestellter überweist von 2007 bis Ende 2018 einem Versicherer jeden Monat 50 Euro, insgesamt 7050 Euro. Das Guthaben der fondsgebundenen Rentenversicherung für seinen Sohn beträgt aber nur 5350 Euro. Verbraucherschützer machen einen Test: Eine 65-jährige Frau hat 50 000 Euro gespart und will dafür eine sofort beginnende Privatrente abschließen. Der Versicherer berechnet stolze 2999 Euro für Abschluss- und Vertriebskosten.

Natürlich: Die schwierige Situation am Kapitalmarkt spiegelt sich in niedrigen Renditen wider. Doch der Hauptgrund für die Verluste oder mageren Erträge ist das ineffiziente und teure Vertriebssystem. Übrigens wird der einzelne Vermittler dabei nicht reich, viele kommen gerade so über die Runden. Der Fehler liegt im System. Es wird Zeit, dass die Versicherer davon Abschied nehmen. Sonst spielen sie schon bald in der privaten Altersvorsorge keine Rolle mehr - weil sie zu teuer sind.

Der Hauptgrund für die mageren Erträge ist der ineffiziente und teure Vertrieb

Das liegt auch daran, dass viele Versicherungsangebote auf die Bedürfnisse der Vertriebe maßgeschneidert wurden, nicht auf die der Kunden. Wer als Vertreter oder Makler von Provisionen lebt, hat ein Interesse daran, das Angebot mit den höchsten Provisionen zu verkaufen, nicht unbedingt den Vertrag, der für den Kunden der beste wäre.

Das heißt nicht, dass die Versicherer keine Vertreter mehr brauchen. Ganz im Gegenteil: Gute Mitarbeiter, die sich um die Kunden kümmern, sind nötiger denn je. Aber wenn Allianz, Generali oder Ergo darauf bestehen, sie vor allem mit Provisionen zu entlohnen, die sie ihrerseits den Kunden abnehmen, werden sie scheitern. Die Kundenbetreuer brauchen ordentliche Gehälter. Wenn sie im Gespräch immer in erster Linie an den Verkauf denken müssen, können sie nicht gut beraten.

Die Versicherer argumentieren, ohne provisionshungrige Vermittler, die möglichst viele Verträge absetzen wollten, käme es zu Versorgungslücken, die Altersarmut werde zunehmen. Es ist genau umgekehrt: Wer von seinem mühsam angesparten Geld für das Alter hohe Provisionen zahlt, ist später ärmer dran. Und wenn denn Provisionen angeblich unbedingt nötig sind für die private Vorsorge: Warum gibt es dann aktuell so große Vorsorgelücken, wie sie die Versicherer selbst beklagen? Schließlich haben sie seit Jahrzehnten die Bevölkerung mit mehr als 200 000 Vertretern und Maklern bearbeitet.

In Großbritannien, den Niederlanden und den nordischen Ländern sind Provisionen auf Lebensversicherungen verboten. In Deutschland streiten sich Finanz- und Wirtschaftsministerium darum, ob die geplante Obergrenze von vier Prozent der Beiträge wirklich nötig ist.

Egal, ob eine gesetzliche Regelung kommt oder nicht: Die Versicherer selbst sollten das alte System abschaffen. Es hat keine Zukunft. Das erkennt die Branche schon daran, dass es ihr immer schwerer fällt, Nachwuchs für die Vertreter und Makler zu finden. Bei Umfragen nach dem Ansehen von Berufsgruppen rangieren sie konstant auf den hinteren Plätzen.

Statt immer noch die eigentlich verlorene Schlacht für den Erhalt des alten Provisionssystems zu führen, sollten die Versicherer mehr Geld in neue, sehr viel einfachere Angebote investieren. Die Kundin oder der Kunde muss sie leicht abschließen, ebenso leicht kündigen und unterbrechen können. Und die Versicherer sollten viel mehr Geld in die Hand nehmen für die echte Digitalisierung. Das reduziert sehr bald die Kosten und erhöht die Kundenzufriedenheit. Dazu gehört, dass ein Kunde jederzeit auf Knopfdruck sehen kann, wo er bei der Vorsorge steht, was seine Verträge aktuell wert sind und welche Kosten angefallen sind. Bislang leisten das nur wenige Gesellschaften.

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Quelle:
SZ vom 29.07.2019
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