Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Im Gestaltungswahn

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Eine wirksame Industriepolitik korrigiert und setzt Grenzen, um Fehlentwicklungen zu verhindern. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sollte das beherzigen: Kluge Industriepolitik begleitet, sie leitet nicht an.

Von Karl-Heinz Büschemann

Es liegt wohl an der zunehmend schlechten Laune: Die Stimmung in der deutschen Industrie leidet. Das Wachstum geht zurück, die wichtige Autobranche steht vor einer ungewissen Zukunft. Handelskriege drohen, US-Digitalkonzerne dominieren die globale Wirtschaft, die EU ist durch den Brexit verunsichert, und China entwickelt sich zum Kraftzentrum der Märkte.

Das sind offenbar Gründe für Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), darüber nachzudenken, wie er sich als Gestalter im Wirtschaftsgeschehen auszeichnen könnte. Er will offenbar nicht nur Reden halten, wie es seine Vorgänger taten, sondern selbst die Weichen stellen. Dafür hat er sich die "Nationale Industriestrategie 2030" ausgedacht, die er am Dienstag vorstellen will. Altmaier will die wirtschaftlichen Spitzenpositionen Deutschlands und der EU mithilfe von Industriepolitik wiedererlangen. Dazu gehört für ihn die gezielte Unterstützung einzelner Branchen. Zudem sei es nötig, Unternehmen wie BASF, Siemens, Thyssenkrupp, die Deutsche Bank oder bestimmte Mittelständler zu fördern. Zu diesem Zweck will Altmaier auch Fusionen in der EU erleichtern, um sogenannte nationale Champions zu schaffen, große Leuchtturmunternehmen mit Vorbildcharakter.

Konzerne dürfen sich nicht dem Verdacht aussetzen, ohne die Politik keine Zukunft zu haben

Das sind keine guten Ideen, und die Unternehmen sollten sich Altmaiers Fürsorge verbitten. Weltkonzerne wie BASF und Siemens dürfen sich nicht dem Verdacht aussetzen, ohne die Regierung keine Zukunft zu haben. Thyssenkrupp hat sich durch eigene Fehler in eine schwere Krise manövriert, aus der auch Berlin keinen Ausweg bieten könnte, sondern nur eine überzeugende Strategie. Die Deutsche Bank hat sich durch eigene Fehlentscheidungen im Vergleich mit europäischen Konkurrenten so klein gewirtschaftet, dass auch die von der Bundesregierung gewünschte Fusion mit der ebenfalls schwankenden Commerzbank keinen kraftstrotzenden nationalen deutschen Finanzriesen schaffen könnte. Unklar ist auch, warum Altmaier der deutschen Autoindustrie im eigenen Land eine Batteriefabrik für die E-Auto-Zukunft finanzieren will, von der die Branche selbst sagt, dass sie gar keine will. Woher will der Staat wissen, welche Technologien künftig eine Rolle spielen werden? So war die Festlegung der Bundesregierung auf das Elektroauto als einzig denkbare Alternative zum Verbrennungsauto schon ein Fehler, als die Kanzlerin vor zehn Jahren das Thema entdeckte. Die Förderung des Stromautos hat die Elektrifizierung des Verkehrs nicht beschleunigt. Es wäre besser gewesen, politische Vorgaben zur Reduzierung der Abgase zu machen. Ob die Industrie diese Ziele mit E-Fahrzeugen, Wasserstoffmotoren oder noch unbekannten Antrieben erreicht, muss die Politik den Firmen überlassen. Es trägt nicht zur Vielfalt von konkurrierenden Technologien und zur Wettbewerbsfähigkeit einer Branche bei, wenn sich Politiker für vermeintliche Patentrezepte entscheiden.

Auch nationale Champions zu bilden ist nicht Sache der Politik. SAP in Deutschland oder Google in den USA sind ohne staatliche Geburtshilfe entstanden. So bedrohlich US-Konzerne oder China-Riesen der Digitalwirtschaft inzwischen sein mögen - sie mithilfe von staatlich geförderten Fusionen in Europa in die Schranken weisen zu wollen, ist der falsche Ansatz und in der Regel mit dem EU-Wettbewerbsrecht unvereinbar. Manager lieben Fusionen, aber sie greifen zum Mittel des Zusammenschlusses mit Konkurrenten, um den Wettbewerbsdruck zu verringern, nicht um ihn zu erhöhen. Gute Industriepolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie der Wirtschaft Rahmenbedingungen setzt, die die Umsetzung von innovativen Ideen in Geschäftsmodelle fördert.

Dazu gehört eine unterstützende Steuerpolitik, die Forschung und Entwicklung beflügelt. Das fordern die Unternehmen seit Jahrzehnten. Leider vergeblich. Dazu gehören hohe Ausgaben für Universitäten, Schulen, Bildung und Ausbildung. Doch zur Wahrheit in Deutschland gehört, dass Bund und Länder zäh darüber streiten, ob die Bundesregierung die Modernisierung der Schulen finanzieren darf.

Wirtschaftspolitik muss unfair handelnden Konkurrenten etwa aus China mit Sanktionen begegnen. Das geht aber nur, wenn Europa vereint handelt und sich stark zeigt. Das ist sinnvoller, als ausländischen Investoren aus Angst vor dem Diebstahl von Technologien den Zugang zu heimischen Firmen zu verbauen. Eine wirksame Industriepolitik setzt Grenzen, um Exzesse und Fehlentwicklungen zu verhindern. Sie greift korrigierend ein. Begleitung der Wirtschaft ist ihre Aufgabe, nicht Anleitung.

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SZ vom 04.02.2019
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