Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Aus weniger mehr machen

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Andrew McAfee, Maschinen­bauer und Wirtschafts­professor an der Elite-Universität MIT, will die Welt mithilfe des Kapitalismus retten.

Von Marc Beise

Davos ist für Andrew McAfee ein vertrautes Terrain. Wenn sich dort die Macherinnen und Macher der internationalen Wirtschaft treffen, ist er ein begehrter Gesprächspartner. Der Maschinenbauer und Wirtschaftsprofessor von der Elite-Universität MIT an der US-Ostküste hat sich einen Ruf als wichtiger Deuter der Wirtschaft erschrieben. Diesmal hat er sein Buch "More from Less" mitgebracht, das erst seit Kurzem und bisher nur auf Englisch auf dem Markt ist. Wichtige Akteure der internationalen Wirtschafts- und Finanzszene haben es bereits gelesen und sind beeindruckt. Christine Lagarde, neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank (natürlich auch in Davos), bekennt sich als Fan, obwohl sie McAfees These zunächst nicht glauben wollte, sie dachte: "Das kann nicht stimmen."

Und das ist es, was McAfee behauptet: Die Rettung der Umwelt ist nicht durch Verzicht zu erreichen, wie es viele Klimaaktivisten heute vehement fordern, sondern im Gegenteil durch weiteres Wachstum. Im Autojargon gesprochen: "Es geht nicht darum zu wenden, sondern Gas zu geben." Ausgerechnet der Kapitalismus, also Marktwirtschaft und freier Kapitalfluss, der bei vielen seit Marx unter Generalverdacht stehe, biete die Instrumente für mehr Nachhaltigkeit.

In seinem Optimismus trifft sich dieser Ansatz mit dem des US-Präsidenten, der am selben Tag in Davos war. Aber mit dessen krudem Denken hat McAfee nichts gemein, vielleicht müsste er das offensiver klarstellen; er erwähnt Trump im Buch nur zweimal beiläufig. Jener leugnet die Wirklichkeit, McAfee nicht. Er konzediert, dass die Geschichte der Industrialisierung eine Geschichte der Zerstörung der Umwelt war. Nur, und das ist sein Punkt, das drehe sich nun.

Die Industriestaaten hätten einen Wendepunkt erreicht, ab dem ein forcierter Kapitalismus in Kombination mit technischem Fortschritt zu weniger statt zu mehr Umweltzerstörung führe. Firmen müssen im Wettbewerb sparen und sich neu organisieren, Staaten profitieren davon. Und das sei keine Zukunftsvision, sondern bereits Realität. In den USA ist der Verbrauch fast aller Rohstoffe seit Jahren rückläufig oder stagniert, obwohl die Wirtschaft weiter wächst.

Das ist eine Darstellung, die der Intuition vieler Menschen widerspricht, die sich verstärkt Sorgen machen, und McAfee weiß selbst, dass er damit anecken wird. Er verzichtet auf den Trick vieler Autoren, den Spannungsbogen langsam aufzubauen, sondern fasst seine Position gleich im ersten Kapitel zusammen - um sie dann auf 300 Seiten zu belegen. Für ihn ist es die Digitalisierung, die den Unterschied macht. Die neue Technik kann Umwelt schonen helfen. Was übernimmt nicht beispielsweise das Smartphone alles an Aufgaben, für die man früher jede Menge Geräte brauchte. Damit aber ist der weitere Weg vorgezeichnet. Es kann eben nicht darum gehen, die Produktion herunterzufahren, sondern sie intelligent zu steigern.

Einer, der in Davos genau zugehört hat, ist Robert Habeck, der deutsche Grünen-Chef. Er wies in einer gemeinsamen Diskussion aber besonders auf die Gestaltungsaufgabe des Staates hin, und erntete häufiges Kopfnicken beim Amerikaner. Der warnte die Fans eines ungezügelten Kapitalismus vor falschen Erwartungen. Natürlich sei er für Regulierung, auch für eine CO₂-Steuer. Aber man rette die Welt nicht mit Pessimismus. Damit reiht er sich ein in die Gruppe der sogenannten "Optimisten" in der Wissenschaft, die von sich aber sagen, dass sie Realisten seien. Die daraufhin weisen, dass die Fakten häufig besser sind, als Kritiker des Systems glauben machen wollten. Beispielsweise sinkt weltweit die Zahl der Menschen in extremer Armut seit Jahrzehnten kontinuierlich, obwohl die Gesamtbevölkerung dramatisch steigt, auch diese Daten finden sich in McAfees Buch. Wie überhaupt gilt: Auch wenn das Buch anfangs leicht verständlich daher kommt, McAfee ist ein sehr ernsthafter Wissenschaftler, der seine Belege parat hat.

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SZ vom 25.01.2020
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