Süddeutsche Zeitung

Karlsruhe:Verfassungsrichter zweifeln an Erbschaftsteuer

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Die Erbschaftsteuer birgt zu viele Schlupflöcher für Unternehmen, moniert das Bundesverfassungsgericht. Es sieht so aus, als könne Karlsruhe das Gesetz in Teilen kippen. Aber was kommt dann?

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Am Nachmittag war die Skepsis der Verfassungsrichter dann nicht mehr zu überhören. Reinhard Gaier fragte, warum die vielen Vergünstigungen der Erbschaftsteuer eigentlich auch auf große Aktiengesellschaften mit einzelnen Großaktionären anwendbar seien - wo doch das erklärte Ziel des Gesetzgebers die Förderung von Familienunternehmen gewesen sei. Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Gerichts, wollte wissen: Ist eine gesetzliche Vorschrift noch zu halten, wenn sie gleichsam zur "Gestaltung" einlade - also zur legalen Umgehung der Steuerpflicht, und zwar ohne eine Herde von Steueranwälten einzuschalten. Und Johannes Masing erkundigte sich nach der Rechtfertigung für die Steuerprivilegien - die ja umso nachdrücklicher ausfallen müsse, je umfangreicher die Vergünstigungen seien.

Damit waren die Richter des Ersten Senats bei den Fragen angekommen, die der Bundesfinanzhof (BFH) aufgeworfen hatte, der die Erbschaftsteuer mit einem Beschluss von 2011 in Karlsruhe zur Überprüfung gestellt hatte. Ein Vorlagebeschluss, der letztlich die Gerechtigkeitsfrage aufwarf. Denn aus Sicht der obersten Finanzrichter führt das 2009 reformierte Steuerrecht zu einer Schieflage. Durch gesellschaftsrechtliche Konstruktionen könnten Betriebe in den Genuss der weitgehenden oder zum Teil sogar vollständigen Steuerbefreiung kommen, die das Gesetz vorsieht. Und zwar auch ohne das erklärte Ziel des Gesetzes zu erreichen, den Erhalt von Arbeitsplätzen.

Die entscheidende Frage ist: Werden private Erben gegenüber Unternehmern benachteiligt?

Verfassungsrechtlich heikel sind dabei nicht die Entlastungen selbst, sondern eine mögliche Ungleichbehandlung, wie der zuständige Berichterstatter Michael Eichberger gleich zu Beginn anklingen ließ: Die Frage sei, ob eine weitgehende Begünstigung der Unternehmen die Erben anderer, nicht in Betrieben konzentrierten Vermögen benachteilige - hoher Vermögen, wohlgemerkt, denn das normale Eigenheim ist ohnehin von den Freibeträgen abgedeckt.

Nun ist dieser Grundsatz der Gleichbehandlung das wirkungsvollste Instrument der Verfassungsrichter zur Kontrolle des Steuerrechts . Andererseits sind Steuerentlastungen für bestimmte Gruppen durchaus zulässig - freilich nur, wenn dies durch Gründe des "Gemeinwohls" gerechtfertigt ist. In Ausnahmefällen könne dies sogar zur vollständigen Steuerfreiheit führen, hat das Gericht 2006 entschieden. In einem Urteil von 1995 bezeichnete das Gericht die mittelständischen Betriebe als "in besonderer Weise gemeinwohlgebunden und gemeinwohlverpflichtet", als "Garant von Produktivität und Arbeitsplätzen".

Für Michael Meister, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, liegt hier der Schlüssel für das Verfahren. 90 Prozent der Unternehmen seien Familienbetriebe, sie stünden für 60 Prozent der Arbeitsplätze. Der Gesetzgeber habe richtig entschieden, ihnen vor dem Hintergrund der Finanzkrise Vergünstigungen zu gewähren. "Es galt, die Arbeitsplatzbeschaffer der Wirtschaft nicht weiter zu belasten."

Wirtschaftsvertreter zeichnen Schreckensbilder

Die Frage ist freilich, wie es um diese Belastung wirklich bestellt wäre, wenn das Gericht die Erbschaftsteuer kippte. Eine Entscheidung fällt voraussichtlich im Herbst. Im Sitzungssaal wurden regelrechte Zahlengebirge aufgetürmt, um zu belegen, was es für die Betriebe bedeuten würde, wenn sie in Zukunft in der Mehrheit - und nicht nur, wie derzeit, im Ausnahmefall - Steuern im Erb- oder Schenkungsfall zahlen müssten. Liquiditätsprobleme, weniger Investitionen, Stellenabbau - solche Szenarien wurden von den versammelten Vertretern der Unternehmensverbände gezeichnet. Meist klang das aber so: Wenn die Betriebe mehr Steuern zahlen müssen, können sie weniger Geld investieren.

Zwar zitierten Vertreter der Familienunternehmen eine Umfrage, wonach zwei Drittel der Familienunternehmen bei Wegfall der Steuerprivilegien auf ihre Substanz zurückgreifen und ihre Investitionen zurückfahren müssten. Andererseits dürfte sich das Gericht kaum damit begnügen, allein die Vergünstigungen zu streichen. Sollten die Richter - wonach es aussieht - das Gesetz zumindest teilweise beanstanden, dürften sie eine Reform anmahnen, die die Möglichkeit zur Entlastung von Familienunternehmen weiter offen lässt. Schon deshalb, weil die steuerliche Verschonung des Betriebsübergangs auf die nächste Generation in vielen Teilen Europas Standard ist.

Staatssekretär Meister jedenfalls mahnte: Der Streit über die bessere Steuerpolitik müsse "im Bundestag" geführt werden. Meister hatte auch angedeutet, welches Ergebnis er partout nicht möchte: einen Modellwechsel, der den Gesetzgeber zum Verzicht auf Steuerbefreiungen bei abgesenkten Steuersätzen zwinge.

Niedriger Steuersatz ohne Privilegien: Für dieses Modell wirbt beispielsweise Hermann-Ulrich Viskorf, Vizepräsident des BFH, also jenes Gerichts, das die Erbschaftsteuer in Karlsruhe zur Überprüfung gestellt hat. Selbst auf Seiten der Bundesregierung fand dieser Ansatz in Karlsruhe Befürworter: "Ich persönlich halte das für die bessere Regelung", sagte der Tübinger Professor Christian Seiler, juristischer Bevollmächtigter der Regierung - um sogleich zu bekräftigen, dass selbstverständlich auch das geltende Recht vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst sei.

Der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Ralf Maiterth hatte ein solches Modell einmal durchgerechnet: Wenn man beim derzeitigen Steueraufkommen von 4,5 Milliarden Euro bliebe, dann sänke der Steuersatz beim Betriebsübergang von 30 auf 13 Prozent. Die faktische Steuerlast - darauf wies die Stiftung Familienunternehmen hin - wäre damit freilich für die bisher privilegierten Betriebe höher als zuvor.

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SZ vom 09.07.2014
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