Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Harter Sanierer

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Kajo Neukirchen wurde oft zu abgewirtschafteten Unternehmen gerufen. Aber er wurde auch oft zum Streitthema, weil er mit Methoden vorging, die anderen fremd blieben.

Von Karl-Heinz Büschemann, München

In der Welt der Unternehmenschefs gibt es nicht viele, die im allgemeinen Anzuggrau der Management-Etagen auffällige Merkmale haben und einen Bekanntheitsgrad erreichen, der über die eigenen Bürofluchten hinausgeht. Kajo Neukirchen, der seine wichtige Zeit als Industriechef in den Neunziger- und in den Nuller-Jahren erlebte, gehörte zu denjenigen, die sichtbarer waren als andere. Er wurde zu seinem eigenen Markenzeichen. Der gebürtige Bonner mit dem 1,95 Meter Gardemaß wurde als Sanierer von abgewirtschafteten Unternehmen bekannt, aber er wurde auch oft zum Streitthema, weil er mit Methoden vorging, die anderen fremd blieben. Und er wurde dafür gescholten, dass er auch gerne hohe Abfindungen mitnahm, wenn ein Engagement mal wieder zu Ende ging. Am zweiten Weihnachtsfeiertag ist Karl-Josef Neukirchen, wie er offiziell hieß, an den Folgen einer Covid-Erkrankung gestorben. Er wurde 78 Jahre alt.

Dieser Mann, der in seiner Karriere von Unternehmen zu Unternehmen zog, der einst als junger Mann bei Philips und Kugelfischer anfing, hat zweifelhafte Titel gesammelt wie kaum ein anderer in der Industrie: "Rambo der deutschen Wirtschaft", nannte ihn das Handelsblatt. Für das Manager-Magazin war er ein "berüchtigter Sanierer". Von "Eisberg" war die Rede, von "schneidigem Ton", von "eiserner Härte". Er hat Spuren der Verletzung hinterlassen. Aber er hat auch Anerkennung bekommen. Ein führender Betriebsrat, der sich mit radikalen Entlassungsplänen dieses Managers herumschlagen musste, weil die Kosten schnell herunter mussten, fand an diesem Gegenspieler auch Positives: "Er ist hart, aber was er sagt, das hält er." Diese Anerkennung des Belegschaftsvertreters kam sicher auch daher, dass Neukirchen nicht nur bei den Beschäftigten in Fabriken und Verwaltungen den Sparstift ansetzte, sondern auch bei seinen Kollegen im oberen Management. Wohl kaum ein Unternehmenschef hat bei seiner Arbeit so viele Top-Leute gefeuert wie dieser Kajo Neukirchen.

Neukirchen entstammte kleinen Verhältnissen. Sein Vater war Töpfer, der Junge musste sich nach der Volksschule durchschlagen, wie er selbst seine frühe Jugend beschrieb. Er holte das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach und schaffte es zum Dr. der Volkswirtschaft. Das war in der Nachkriegsbundesrepublik kein erwartbarer Werdegang, und er setzte eisernen Willen voraus. Den hatte Neukirchen, wie sich alsbald zeigte.

Manche Führungskraft soll unter Tränen sein Büro verlassen haben

Der junge Mann begründete seinen Ruf als Firmenretter im Jahr 1987. Damals ging er zu dem angeschlagenen Kölner Maschinenbauer Klöckner-Humboldt-Deutz. Dessen Belegschaft stutze er von 23000 Beschäftigte auf nur noch 13600. Bei seinem nächsten Arbeitgeber hatte er dagegen Pech. Er ging 1991 als Nachfolger von Detlev Rohwedder in das Chefbüro des Dortmunder Stahlkonzerns Hoesch, der dabei war, unter dem Druck der Krise dieser Industrie zusammenzubrechen. Doch noch bevor Neukirchen lossanieren konnte, wurde das Unternehmen von dem Essener Konkurrenten Krupp feindlich übernommen. Neukirchen sorgte danach im Ruhrgebiet für Schlagzeilen, weil er sich das Recht zur Nutzung von Hoesch-Dienstvilla und Firmenwagen nebst Fahrer auf Lebenszeit sicherte.

Später holte die Deutsche Bank, die dem Niedergang der Frankfurter Metallgesellschaft lange tatenlos zugesehen hatte, Neukirchen als Retter an die Spitze des Mischkonzerns. Heute hat das Traditionsunternehmen, das einst 60000 Mitarbeiter hatte und heute Gea heißt, nur noch knapp 19000 Beschäftigte. Auch viele Führungskräfte mussten damals gehen, und viele von ihnen hat Neukirchen angeblich so gedemütigt, dass sie unter Tränen sein Büro verlassen haben sollen. Doch der Mann, der keine Zeit hatte für Hobbys, der allerdings ein Freund guter Zigarren und schweren Weins war, hatte hohe Ansprüche: "Das Ausscheiden schwacher Mitarbeiter ist für mich kein Verlust."

Neukirchen war ein besonders forscher Vertreter der damals aufstrebenden Schule der Portfolio-Manager. Für sie ist es wichtiger, schlecht laufende Geschäfte zu verkaufen als zu sanieren. Das war in der bundesdeutschen Wirtschaft lange unvorstellbar, und es ist auffallend, wie lange die Deutsche Bank immer wieder Kajo Neukirchen als Feuerwehrmann einsetzte, wenn in Unternehmen, an denen sie beteiligt war, der Dachstuhl brannte. Neukirchen hat es geschafft, einen Ruf als erfolgreicher Sanierer zu etablieren, weil er mit seinen Methoden des Personalabbaus und des Verkaufs von Firmenteilen schnelle Effekte in der Gewinn- und Verlustrechnung hatte. Waren seine Erfolge aber dauerhaft?

Die Börse war von Neukirchen oft weniger begeistert als seine Freunde bei der Deutschen Bank

Viele vermeintliche Erfolge hatten keine lange Haltbarkeit. Die Börse war von Neukirchen oft weniger begeistert als seine Freunde bei der Deutschen Bank. Die Klöckner-Werke, wo er eine Zeitlang in den Neunzigerjahren den Aufsichtsrat führte, sind längst von der Bildfläche verschwunden. Und auch bei der Metallgesellschaft, die er massiv auf Kostenersparnis trimmte, ließ er keine langfristig tragfähige Strategie erkennen. Am Ende seines Engagements stand ein Streit mit dem Großaktionär Otto Happel, den er naturgemäß verlor.

Wohl niemand hat Kajo Neukirchen abgesprochen, ein harter Arbeiter zu sein, und der Manager selbst verteidigte seine strengen Methoden: "Die meisten Menschen haben meine Entscheidungen später eingesehen." Er gestand selbst ein, dass das Geschäft der Rettung von Krisenunternehmen ohne Härte nicht funktionieren kann und dass man viele Gegner hat: "Wer keine Feinde hat, der hat in seinem Leben auch nicht viel gekämpft und nichts bewegt", sagte er nüchtern. Wer so auf sein Leben zurückblickt, hat es sich in jedem Falle nicht leicht gemacht.

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