Süddeutsche Zeitung

Social-Media-Geschäftsmodell:Influencer auf den Spuren der Porno-Industrie

Lesezeit: 2 min

Von Michael Moorstedt

Es ist ja nicht gerade so, als gäbe es nicht schon genug Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren. Und so wäre Threads, die neue Messaging-App aus dem Hause Instagram, eigentlich gar nicht weiter erwähnenswert. Wäre da nicht eine neue Funktion namens Auto-Status. Das Programm setzt selbständig Informationen über das aktuelle Befinden seines Benutzers ab. "Bin unterwegs", "zu Hause" oder "am Strand" sind die zugegebenermaßen wenig einfallsreichen Beispiele, die Instagram bei der offiziellen Vorstellung gab. Wer will, kann also sämtliche Vitalsignale seines digitalen Daseins mit seinen Freunden teilen, ganz ohne sich selbst Gedanken über ein möglichst geistreiches Bonmot machen zu müssen. Das geht freilich nur, wenn man der App umfangreiche Zugriffsrechte auf die Informationen seines Smartphones gewährt. So gut wie alles ist einsehbar, Standort, Bewegungsprofile, Akkustand und Netzwerkstatus.

Die Privatsphäre erodiert also weiter vor sich hin. Instagram versucht aber trotzdem, die neue Anwendung - in einem Blogeintrag mit reichlich rhetorischer Dreistigkeit - als Sicherheitsfeature zu vermarkten. "Threads wurde im Sinne der Privatsphäre entwickelt", heißt es dort. Schließlich könnten nur ausgewählte enge Freunde den computergenerierten Status sehen.

Die Bedeutung des Wörtchens "Freund" hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten ja ohnehin einen dramatischen Wandel hingelegt, der noch immer anhält. Galt es bis vor wenigen Jahren noch als möglichst erstrebenswert, so viele Freunde und Follower wie möglich auf den unterschiedlichen Social-Media-Profilen anzuhäufen, hat inzwischen eine Gegenbewegung eingesetzt. Heutzutage wird streng nach Qualität der Kontakte unterschieden.

Trend auf Instagram

Eine junge Frau namens Caroline Calloway hat es in dieser Disziplin zur Großmeisterschaft gebracht. In einschlägigen Kreisen ist sie durch konsequente Selbstentblößung bekannt, die ihr einen Buchdeal von einer halben Million Dollar eingebracht hat, der platzte, nachdem sie den Vorschuss schon verjubelt hatte. Im vergangenen August machte sie ihren knapp 800 000 Followern das Angebot, für zwei Dollar im Monat Zugang zu ihrem inneren Kreis zu erhalten. Wer 100 US-Dollar bezahlt, steigt dann sogar in die Kategorie "Engste Freunde" auf. Es winkt als Gegenleistung immerhin ein einstündiges Skype-Telefonat mit der bezahlten Freundin.

In letzter Zeit reicht es Influencern nicht mehr, in ihren Postings Produkte anzupreisen. Weil heutzutage jeder eine Marke ist, vermarkten sie ihre Freundschaft. Calloway ist eine von vielen Instagram-Promis, die gegen Bezahlung persönliche Zuneigung versprechen. Private Nachrichten, Fotos mit Widmung, personalisierte Sprachaufzeichnungen. Das zumeist junge Publikum ist es ohnehin gewohnt, dass sich auf der Plattform alles ums Geld dreht. Wenn soziale Beziehungen zur Handelsware werden, ist das nur der konsequenteste Auswuchs der sogenannten Aufmerksamkeitsökonomie. Nur geht es nicht mehr darum, die Aufmerksamkeit der Nutzer zu gewinnen. Nein, auch sie selbst wollen nun Beachtung, der Warenstrom kehrt sich um. Und das erlernte Verhalten lautet: bezahlen. Die Monetarisierung von Intimität ist ein Phänomen, das man eher in der Pornoindustrie verorten würde. Und weil die traditionell eine Vorreiterrolle für die Tech-Branche innehat, lautet hier der Trend schon lange: Exklusivität. Glaubt man der Kolportage, ist es für die Darsteller lukrativer, private Webcam-Shows vor wenigen zahlenden Zuschauern zu streamen, als sich für die üblichen Filme herzugeben.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2019
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